Cox oder der Lauf der Zeit

Cox erreicht das chinesische Festland unter schlaffen Segeln am Morgen jenes Oktobertages, an dem Qiánlóng, der mächtigste Mann der Welt und Kaiser von China, siebenundzwanzig Steuerbeamten und Wertpapierhändlern die Nasen abschneiden ließ.

Schon im ersten Satz des neuen vielgelesenen und hochgepriesenen Romans von Christoph Ransmayr haben die Antagonisten und, wie sich abzeichnen wird, Seelenverwandten ihren Auftritt; beide haben sie ihre Vorbilder in realen Personen des 18. Jahrhunderts; ebenso der Schauplatz: China. Gleichwohl, betont Ransmayr, handelt es sich bei dem China im Roman um ein erfundenes Land, das vielleicht nur den Namen mit dem wirklichen China teilt. Ransmayrs China ist die märchenhafte Kulisse für ein höchst formales Kabinettstückchen voller würdevoller Prosa, durchsetzt von Spiegelungen, Geheimnissen, verblüffenden Naturbeschreibungen und philosophischen Betrachtungen über Vergänglichkeit und Zeit, Liebe und Tod.

Selten einen kunstvolleren Roman gelesen; wie die peinlich aufeinander abgestimmten Zahnräder eines Uhrwerks entwickelt sich die Geschichte über die englischen Uhrmacher, die im Auftrag des chinesischen Kaisers die phantastischsten Uhren bauen; bis hin zu ihrem Meisterwerk: der Uhr für die Ewigkeit. Die Charaktere sind wie Figuren in einem automatischen Theater, sie folgen vorgezeichneten Bahnen, stehen mal überdeutlich und mit Bedeutung aufgeladen vor dem verschwommenen Hintergrund, bleiben dafür sonst oft blaß im Gleichmaß der Sprache, durch die der Erzähler sie irgendwie immer auf Abstand hält. Überhaupt die Sprache: lange, ineinander gewundene Sätze, denen man manchmal, in den besseren Fällen, einen Hang zum Manierismus nicht absprechen kann, die aber auch schnell, in den nicht so guten Fällen, die Grenze zum Kitsch mehr als nur streifen.

Ich weiß nicht. Das Meisterwerk, als das dieses Buch gefeiert wird, kann ich irgendwie nicht entdecken. Ja, Ransmayr zeigt sich als ein Meister der Form. Cox schnurrt wie ein Uhrwerk; bewundernd sieht man all die Rädchen und Verbindungen, der Blick folgt der Versuchsanordnung, dem Lauf der Zeit; aber etwas fehlt, mir zumindest: der Einbruch der Wirklichkeit, das über 300 Seiten erwartete Ereignis, das dieser ballettartigen Szenerie ihren Sinn gibt. Etwas gelangweilt, etwas enttäuscht und ein wenig irritiert legte ich das Buch beiseite, nachdem die Engländer die Rückreise angetreten haben und der chinesische Kaiser Qiánlóng allein mit seiner Macht in der abgeschiedenen Stille eines Pavillons sitzt. Ungefragt nimmt die Zeit weiter ihren Lauf.