Etwas läuft schief

Etwas läuft schief. Also: es geht nicht „seinen Gang“, den Gang, den wir uns gedacht haben. Jegliches geschieht im Grunde nie oder nur zufällig unseren Vorstellungen entsprechend; nichts verläuft gerade; weicht es zu sehr vom vorgedachten Weg ab, sagen wir: Es geht schief.

Gerade rücken

Das Schiefe, der Umstand, dass die Welt nicht ordentlich eingerichtet ist, ist natürlich nicht tragbar: Der Mensch, mit dem Hang zum Möglichen, ist auf der Welt, um sie sich zurechtzuzimmern. Im Grunde verbringen wir einen Großteil unserer Leben damit, das Schiefe gerade zu rücken - dazu müssen wir nicht einmal zwingend tätig werden: das Denken erledigt da schon einiges für uns (Stichwort kognitive Dissonanz).

Harald Welzer weist unter Bezugnahme auf Jared Diamond darauf hin, dass Kulturen wie die Mayas oder die Wikinger auch daran gescheitert sind,

“dass man in dem Augenblick, wo sich die Einsicht durchsetzte, dass die Überlebensbedingungen prekär wurden, alle Strategien zu intensivieren begann, mit denen man bislang erfolgreich gewesen war.“

Dieses „intensivierte Erfahrungshandeln“ ist nichts anderes als, mit Verweis darauf, dass es immer schon so war, darauf zu beharren, dass gerade gerückt gehört, was eben noch gerade schien. Führt allerdings unter veränderten Bedingungen, sprich: in dieser, von einem Moment auf den anderen neuen Situation nicht unbedingt zum Erfolg, sondern manchmal schlicht an der Realität vorbei.

Lücken füllen

Etwas geht schief, kann auch heißen: Etwas erschüttert die Lebenswelt mit all ihren Annahmen, Arbeitshypothesen, Erwartungen, Bedeutungsebenen so nachhaltig, dass kurz (oder länger) jedem Sinn der Boden entzogen ist. Die Lücke, die sich auftut, schmerzt gewaltig, schreit von Vergeblichkeit, Vergänglichkeit, Leere. Was willst du hier? Was tust du morgen? Bist du sinn-voll?

Nichts was man gern aushielte. Meine Strategie in den letzten, nun ja, 20 Jahren sah dann eigentlich immer gleich aus: Rückzug. Schreiben z.B. als sichere Sicherheitszone. Die Suche nach Ausdruck, Arbeit an einem Werk, an dem ich mich aufrichten kann. Dass es dieses Werk dann dennoch nie gegeben hat, ändert nichts am Glauben an die Heilsamkeit dieser Strategie.

Im Moment der Erschütterung halte ich mich, ganz intuitiv, fest an dem, was ich kenne, was ich erlernt habe; mit der in aller Leben unvermeidlichen Leerstelle konfrontiert, werde ich einfach möglichst schnell aktiv, um keinerlei Fragen aushalten zu müssen, auf die ich vielleicht die Antwort nicht kenne. Nach Orientierung suchend, bieten sich die Wege an, die mir am vertrautesten erscheinen.

Lücken sind schließlich da, um gefüllt zu werden.

Nicht wissen

Vielleicht aber liegt in der Leerstelle, in der Lücke, in der Fragestellung auch die eigentliche Aufgabe: nicht in den Modus des Erfahrungshandelns zu wechseln, nicht weiterzumachen wie zuvor, nicht sofort wieder unterwegs zu sein. Sondern hier zu bleiben, da zu sein, sich die Frage gefallen und die Welt in ihrer Schiefheit stehen zu lassen. Den Sinn inmitten der Sinnlosigkeit zu finden. Die Form inmitten der Leere.

„Nicht zu wissen, ist das Direkteste und Vertrauteste“,

heißt es in einem Zen-Koan. Und vielleicht geht es um nichts anderes als darum, das Leben lehren zu lassen, wie das eigentlich geht: zu leben. Statt einfach nur immer wieder auf dieselben Strategien reinzufallen.