Aus dem Fastentagebuch

Der Verein Andere Zeiten aus Hamburg gibt das ganze Jahr über Publikationen heraus, die auf die ein oder andere Weise den Rhythmus des Kirchenjahres aufgreifen, um der herrschenden Zeit eben andere Zeiten entgegenzusetzen. Nachdem uns ein anderer Adventskalender schon durch die letzte Adventszeit begleitete, ließ ich mir nun auch bereitwillig den Weg durch die Fastenzeit weisen - u.a. von dem Fasten-Wegweiser wandeln.

Ich startete am 01. März in meine erste Fastenzeit. Nein, mir ging es nicht um Heilfasten, nicht um Gesundheitspflege, nicht um Selbstoptimierung und das Austesten eigener Grenzen. Mir ging es, angestiftet von Frank Berzbach, inspiriert von den morgendlichen Lektüren im Wegweiser, begleitet von wöchentlichen Briefen aus der Andere-Zeiten-Redaktion, darum,

mich freizulegen: meine Stärke, meine Zuversicht, meine Freiheit. Das Leben umarmen: einfach, still, ohne Erwartungen. Mich beobachten, kennenlernen, "festhalten" - und so von mir lassen können. Bewusst leben ...

Kein Wandel, nirgends

Vorweg: Rückblickend betrachtet, hatte ich eine Menge Erwartungen. Wenigstens eine mittlere Erleuchtung hätte ich mir gewünscht, eine Einsicht, wie das Leben wirklich ist, oder eine spürbare Veränderung in meinem Geist. Ein Wandel eben. Nichts davon stellte sich ein. Veränderung? Fehlanzeige.

Auch eine andere Erwartung wurde enttäuscht. Meinem Hang zur Maßlosigkeit folgend, griff ich gleich mehrere Fastenvorhaben auf. Kein Alkohol? Kein Problem. Keine Süßigkeiten? Der Verzicht fiel leicht. Kein Facebook und generell digitale Zurückhaltung: befreiend. Keine neuen Bücher: Ich habe auch nach sieben Wochen noch so viele alte, die ich lesen will. Merkwürdig: Ich merkte kaum, dass ich verzichtete. Dafür meditierte ich so diszipliniert wie lange nicht mehr und genoss es, dass das Leben um einige Optionen ärmer war.

Genoss ich es wirklich?

Die Trostlosigkeit, Tristesse, Trockenheit: ein Ergebnis des Weglassens? Die Welt ohne Zucker und Zeitvertreib: gewöhnungsbedürftig? Ohne die alten Gewohnheiten: ungewohnt. ... In dem Maß, in dem die Situation ungeschönt wird, steigt die Bedeutung der kleinen, unscheinbaren Details, die man sonst so schnell überhört.

Aufhören. Aufhorchen.

Die sieben Woche vergehen in einer merkwürdigen Stimmung. Glück und Traurigkeit liegen so nah wie selten, großer Frieden trifft auf unbändige Unruhe. In der Gegenwart, im Diesseits angekommen, frage ich mich immer wieder nach dem Anderen, dem scheinbar Fehlenden. Es sind Wochen des Unmuts und des Überdrusses. Erschöpfung ist allgegenwärtig.

Wozu lebe ich? Wie will ich leben?

Es gehört zu der Erfahrung dieser Wochen, dass ich auf diese Fragen immer weniger eine Antwort weiß.

Wie geht es mir? Was brauche ich (wirklich)?

Ich übe mich darin, genauer hinzuhören. Verbindlicher leben - so langsam habe ich eine Ahnung davon, was das für mich heißt; wie es geht? bleibt zu finden, Schritt für Schritt.

Das Leben. Kein Bildungsroman

Meine Fastenzeit endet ohne Big Bang, ohne Erkenntnis. Ich sitze Ostersonntag 4:30 Uhr im Auferstehungsgottesdienst und verstehe das erste Mal in meinem Leben, warum Menschen Ostern feiern. Ich habe mit meinem Leben gehadert, ich habe mit meinen Ängsten gekämpft, ich vermute, dass das Glück ganz woanders liegt als da, wo ich es gewohnheitsmäßig suche. Ich mache weiter, als ob nichts gewesen wäre. Und doch: There is a crack in everything, that's how the light gets in...

I've come upon a door
I think there must be more out there
I simply feel it's time for a change
Time to rearrange
That's all, that's all
For now