“Zuletzt wurde ich ganz still.”

Liebe

In Michael Hanekes Amour wird Georges von seiner Tochter aufgefordert, man möge doch im Ernst über die Situation und mögliche Alternativen sprechen. Georges, für den es keine Alternative dazu gibt, seiner Ehefrau nach zwei Schlaganfällen bis zum Ende beizustehen, entgegnet: “Dann sprich doch im Ernst mit mir.” Das Leben ist an einen Punkt gekommen, wo Sprache, Denken und Meinung scheitern. Wo es nichts mehr zu sagen gibt. Nur die Liebe bleibt. Und vielleicht das Wetter. Und der Tod.

Angst

Das Leben kümmert sich nicht um deine Meinung. Nicht darum, was du von ihm hältst. Nirgends spürst du das mehr als in der Angst vor dem Alter, dem Schmerz, dem Tod. Du kannst dich vorauseilend sorgen oder im Nachhinein; das Leben ist, Moment für Moment, nur um den Preis des Augenblicks zu haben. So sicher es ist, dass du sterben wirst, so ungewiss sind Zeitpunkt und Umstände. Die Angst vor dem Morgen, die dir heute nicht hilft, wird sich morgen als überflüssig herausstellen. Der Schmerz lässt sich nicht lindern. Das Leiden am Schmerz hoffentlich schon.

Stimme

Mit deiner Stimme findest du dich selbst. Frage und Antwort, Aufbegehren, Einwenden, aber auch Einverständnis und Zustimmung: Individuen und Kollektive sprechen sich gegen etwas, für das eigene aus. So ist das Finden der eigenen Stimme über lange Phasen der Geschichte ein Politikum, findet das Bürgertum in der Abgrenzung zum Adel zu sich selbst, ernennt man - im Theater, in der Presse, in der Literatur - Stellvertreter, die ihre Stimme für alle anderen erheben. Wenn irgendwann alle sprechen, alle tönen, wird Sprechen zum Selbstzweck: jeder will, jeder muss mitreden. Im Stimmengewirr hört man bald nur noch sich selbst reden.

Stille

Søren Kierkegaard:

“Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ein Hörer. Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören. So ist es: Beten heißt nicht, sich selbst reden zu hören. Beten heißt: still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott spricht.”