Wir sind die Weltklasse!

Mariam, Kübra, Adams, Rafi, Yussuf, Saemira, Omer, Artem, Ayse... All diese Kinder – und noch einige mehr – gehen zusammen in die Igelklasse an einer Grundschule im Ruhrgebiet. Genauer: in die Igelzwei. Das Besondere an der Klasse:

"Mit dieser Klasse kann man eine Weltreise machen, auch ohne dass man vor die Tür geht."

Das sagt Frau Meister, die Klassenlehrerin, die mit den Herausforderungen einer solchen multikulturell besetzten Klasse souverän und vor allem liebevoll umgeht.

Tanya Lieske, Sybille Hein: Wir sind die Weltklasse! Hanser 2024

"Kinder mit Migrationshintergrund", wie das offiziell so schön heißt, gibt es mittlerweile an fast jeder Schule. In Sachsen pegelt sich deren Anteil so langsam bei 30% ein: jedes dritte Kind hat Eltern, die in einem anderen Land geboren sind, oder ist selbst nicht in Deutschland geboren. An der Schule, an der ich unterrichte, ist dieser Anteil noch einmal deutlich höher. Man sagt dann: Brennpunktschule.

Von all diesen Begrifflichkeiten ist der kleine Adam zum Glück weit entfernt. Wir sind die Weltklasse!, sagt er selbstbewusst und stolz in dem Buch, das Tanya Lieske, u.a. Moderatorin beim Deutschlandfunk, geschrieben und Sybille Hein illustriert hat. Er selbst stammt aus Polen, spricht zuhause mit dem "Dziadek" und dem "Tata" eine wilde Mischung aus Polnisch und Deutsch, und in der Schule ist er ganz nah dran an dem alltäglichen Chaos, das eine Gruppe von Kindern mehr oder weniger automatisch stiftet - und das von fähigen Lehrkräften im Idealfall zum Lernen genutzt wird.

Eine "Brennpunktschule" ist die Schule in diesem liebevoll Buch geschriebenen und gezeichneten Buch auch – doch irgendwie ist das gar nicht wichtig.

"Förder gibt es an unserer Grundschule in den Sprachen, die jeder braucht. Das kann Deutsch sein. ... Förder machen wir alle. Bloß Henry und Sibylle brauchen das nicht. Billie ist aus Schwaben, und Henri ist aus Friesland. Ein zweites Land haben sie nicht. Frau Meister hat gesagt, dass es okay ist, wenn man einfach aus Schwaben und Friesland kommt. 'Man ist trotzdem richtig in der Igelklasse. Wir sind nämlich integrativ.'"

Das ist das Schöne an diesem Buch, das Auftakt ist zu einer Reihe über die "Weltklasse": dass der kleine Erzähler Adam die in Deutschland immer auch so schwierigen Verhältnisse auf den Kopf oder auf die Füße stellt. Und der Rhetorik, die Kinder als Belastung für unser Bildungssystem sieht, einen ressourcenorientierten Blick auf die Schülerinnen und Schüler entgegensetzt.

Während die AFD die Sachsen im Landtagswahlkampf vor "Mannheimer Verhältnissen" bewahren möchte (womit der signifikant höhere Anteil an Ausländer*innen an der Bevölkerung gemeint ist), lässt Tanya Lieske einfach die Kinder zu Wort kommen: "Integrativ ist, wenn alle mitmachen dürfen." Und zeigt eine Realität, die von Gemeinsinn, Kreativität und Unterstützung geprägt ist – nicht von Ausgrenzung und Angst.

Wie heißt es in den Klassenregeln der Igelklasse?

"Igelkinder lassen alle mitmachen."

Und so erzählt Tanya Lieske eine turbulente Klassengeschichte, bei der die unterschiedliche Herkunft der Kinder oft gar nicht das Entscheidende ist – vielleicht aber das Sahnehäubchen? Da rennen Mäuse durch ein Klassenzimmer, lernen Kinder Demokratie im Klassenzimmer, wird für einen guten Zweck gekocht, ein Dinosaurier gebaut und die Nachbarschaft unterstützt.

Der größte Unterschied zu vergleichbaren Büchern über Schulklassen und schulische Abenteuer (ich denke etwa an die Romane von Timo Parvela) ist, dass im Grunde alle Kinder der Igelklasse mindestens zweisprachig aufwachsen – und eben nicht in behüteten, "bürgerlichen" Verhältnissen. Ein wenig mehr Chaos ist also vorprogrammiert. Aus Kindersicht ist das ganz unterhaltsam – und bei weitem nicht der oft herbei beschworene Untergang des Abendlandes. Im Gegenteil: Die Kinder wachsen im bunten Miteinander förmlich über sich hinaus.

"Diese Klasse ist ein Irrenhaus",

sagt irgendwann die Direktorin der Schule. Aber Frau Meister hält zu ihren Kindern, so wie die Autorin und die Illustratorin dieses Buches. Die leugnen gar nicht die Schwierigkeiten und Probleme, nehmen jedoch die Kinder ernst und machen deren Sichtweise auf die Dinge deutlich, ihre Freude und ihre Sorgen, ihre Erfolge und ihre Angst. Das ist das wirklich Tolle an diesem Buch. Vor allem, da aus dieser Kinderperspektive neue Chancen und Möglichkeiten erwachsen. Etwas Utopie direkt in der Nachbarschaft? Davon können wir in Deutschland echt mehr gebrauchen ...

Die Igelklasse gibt es auch in Wirklichkeit, denn Tanya Lieske hat viele Stunden vor Ort recherchiert und beobachtet. Die Lehrerin Evi Westphal, "Vorbild" für die fiktive Frau Meister, sagt in Bezug auf ihre Igelklasse:

"Für die Kinder steht die Multikulturalität nicht im Vordergrund. Wir sind wie eine „bunte Tüte“. Jeder gehört dazu und alle sind willkommen."