Alles neu macht die Technik

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"Dank E-Books lese ich mehr und kaufe weniger", weiß Kathrin Passig auf zeit.de. In der halbwegs unterhaltsamen Schrift Internet - Segen oder Fluch, die sie 2012 zusammen mit Sascha Lobo veröffentlicht hatte, breitete Passig ja noch auf mehreren 100 Seiten zahllose Beispiele aus, wie das Internet genauso wenig wie irgendeine andere Technologie die Gesellschaft, die Welt, das Leben revolutionieren würde: der Umgang damit, die soziale Komponente, entscheide über Gut und Böse, über Wirkungsmacht und Irrelevanz, über Top und Flop. Das wäre immer schon so gewesen - Fazit: alles neu macht nur der Mai, die Technik macht letztendlich nur, was wir ihr zutrauen.

Jetzt macht es Passig kürzer und fasst zusammen, wie sehr E-Book-Reader á la Kindle ihr Leseverhalten dann doch revolutioniert haben: Die gelesenen Bücher, jetzt endlich auch zählbar, sind fast doppelt so viele wie noch zwei Jahre zuvor. Sie lese nun halt allerorten und permanent, weswegen sie sich gar freiwillig in die lange Schlange auf der Post einreihe ... Wenn man schon sonst nicht zu literarischen Genüssen kommt, muss man sie sich eben suchen, die Inseln im Alltag.

Die Technik ist es, so Passig, die ihr Leseverhalten revolutioniert habe. Nicht nur, dass der Kindle im Dunklen leuchte. Er klappt auch nicht von alleine zu, ja, man bekommt sicher sogar irgendwo einen Kindle-Halter, damit man während des Lesens endlich mal die Hände frei hat. Nicht, dass der Inhalt von Büchern ein Gewicht hätte! Nein: das Format ist es, das einem permanent Brocken in den Weg legt, weswegen man dann lieber im Internet surft als seine eh schon hart auf die Probe gestellte Aufmerksamkeitsspanne der Mutprobe Buch auszusetzen.

Das E-Book, so die Autorin,

fügt sich viel geschmeidiger als das Papierbuch in meinen Alltag ein – was ich für nachlassendes Interesse am Konzept Buch hielt, war offenbar in erster Linie mein Unwille, den Rechner aus der Hand zu legen. Alle in der jüngeren Vergangenheit gelesenen Bücher trage ich immer mit mir herum und kann sie bei Bedarf durchsuchen.

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Komisch ist es schon, dass man im Internet zur (viralen) Attraktion wird, wenn man sich entscheidet, für ein Jahr offline zu gehen. So geschehen Paul Miller, der sich nun mit einem absolut lesenswerten Artikel zurück meldet: I'm still here, sagt er. Im Mai 2012 hatte Miller den Stecker gezogen, auf der Suche nach dem echten, wahren, unverfälschten. "More real now." Flucht aus dem Netz, aus dem Virtuellen, aus dem permanenten Woanders in eine Gegenwart voller duftender Blumen, mit Menschen zum Treffen und Anfassen, mit dicken Büchern, mit Fahrradfahren und frischer Luft.

Miller hat auch all das gefunden, sagt er. Und beschreibt, wie - Stichwort Aufmerksamkeitsspanne - seine Geduld zurückkehrte, tatsächlich ein Buch zu lesen oder gar: eines zu schreiben. Er genießt die neuen, intensiven Erlebnisse eine Zeitlang und entdeckt begeistert das Neue an sich:

It's the boredom and lack of stimulation that drives me to do things I really care about, like writing and spending time with others.

Begeisterung aber ist flüchtig. Der Offline-Status ist reizvoll, solange er das Andere, das Neue gegenüber dem früheren permanenten On-Sein ist. Mit der Zeit aber schleichen sich dieselben Haltungen und dieselben Gewohnheiten ein, die Miller schon als "Onliner" an sich wahrgenommen hatte: das sieht in der realen Welt dann vielleicht anders als als in der virtuellen, ist im Analogen aber von der selben Art wie im Digitalen.

Passiver Konsum und sozialer Rückzug?

The moral choices aren't very different without the internet.

Miller verliert den Kontakt zum Leben so schnell, wie er ihn (neu) aufgebaut hatte; und siehe: der Zustand danach ist - für ihn - noch inakzeptabler als seine Online-Existenz, da er im Netz Tools & Wege gefunden hatte, sein Leben zu gestalten. Er kehrt zurück in die Online-Welt, und sagt:

What I do know is that I can't blame the internet, or any circumstance, for my problems. I have many of the same priorities I had before I left the internet: family, friends, work, learning. And I have no guarantee I'll stick with them when I get back on the internet — I probably won't, to be honest. But at least I'll know that it's not the internet's fault. I'll know who's responsible, and who can fix it.

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Das Medium ist der Kanal; die Technologie ist vielleicht eine Form von Verstärker; die Inhalte, Probleme und Fragen bleiben davon aber merkwürdig unbeeindruckt. Zeigt sich wiederum am beeindruckendsten, wenn man bei dem gestern seinen 200. Geburtstag feiernden Sören Kierkegaard stöbern geht - z.B. in diesem Artikel von Otto A. Böhmer:

Der Mensch, dieser gewitzigte Kopf, sinnt fast Tag und Nacht darüber nach, wie er zur Verstärkung des Lärms immer neue Mittel erfinden und mit größtmöglicher Hast das Geräusch und das leere Gerede möglichst überallhin verbreiten kann. Ja, was man auf solche Weise erreicht, ist wohl bald das Umgekehrte: Die Mitteilung ist an Bedeutungsfülle wohl bald auf den niedrigsten Stand gebracht, und gleichzeitig haben umgekehrt die Mittel der Mitteilung in Richtung auf eilige und alles überflutende Ausbreitung wohl das Höchstmaß erreicht; denn was wird wohl hastiger in Umlauf gebracht als das Geschwätz?!

Natürlich ist auch jedes Reden über das permanent vor sich hin murmelnde Geschwätz der Gegenwart nichts anders als Geschwätz. Das hat dieser Beitrag wohl mit manchem der hier besprochenen Texte gemein.