Vom Hängen am Leben
Wir hängen am Leben, weil es einzig dieses Leben ist, das wir fassen, wahrnehmen, erleben können. Jeder, der die Möglichkeit von Erlösung, Befreiung, Überwindung anpreist und dabei nur von Glück spricht, lügt. Ja, vielleicht gibt es eine Erleuchtung: aber sie befreit nicht vom Schmerz, sie ist nicht nur Gewinn, sie weiß um den Verlust.
Das Licht, das sanft über das Fell der Katze gleitet. Die Tatze, die sich voller Kraft ins Holz schlägt. Der warme Geruch des Laubes. Die Zärtlichkeit des Kindes, ebenso seine nervtötende Unerträglichkeit, sein Lachen, sein Toben, seine Freude, auch seine Traurigkeit. Die Bäume, der Himmel, das Antlitz des anderen: Es sind diese Wahrnehmungen und Empfindungen, die einem teuer sind; hier tritt das Leben in Erscheinung, nur hier, und ohne diese Erscheinungen wüsste man nichts vom Sein.
Wir hängen am Leben, weil es das einzige ist, von dem wir wissen können. Wir hängen am eigenen Leben, weil es die Bedingung unserer Erfahrung ist, so wie wir am fremden Leben hängen, weil es das ist, was uns Geborgenheit schenkt, Liebe erfahren, Mitgefühl entwickeln lässt. Dass das eine wie das andere vergänglich und, von einem gewissen Standpunkt, illusionär ist, ist eine vielleicht befreiende, vielleicht tröstende, aber keineswegs schmerzlose Erkenntnis, das Glück auf diesem Weg ist nicht ohne Leid. Mehr noch: es ist eins.
Der Schmerz wird nicht überwunden; vielmehr zeigt sich, das Schmerz und Glück, Heute und Morgen, Leben und Tod Tricks unserer Sprache sind, auseinanderzuhalten, was zusammen gehört.
Ich kann nicht aufhören, an diesem Leben zu hängen. An seinen Farben und Formen, Gerüchen und Gefühlen, an seiner Schönheit, seiner Beweglichkeit, seiner Kraft. Das alles los- und sein zu lassen, macht, wenn auch bewusst, nicht zwangsläufig glücklich. Vielmehr: um Glück geht es dabei nicht. Glück ist schon wieder eine dieser Erwartungen, die nur haben kann, wer an der Erscheinung hängt.
Fortan weiß ich, wie sehr ich am Leben hänge; und ich weiß, dass mein Glück das größte Leid sein wird. Ich bin hier, um diesen Zwiespalt auszuhalten; loslassen und anhaften, auch das ist letztlich eins und aufeinander angewiesen.