Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil
Kaum zu glauben, dass das nun in deutscher Übersetzung erschienene Bändchen namens Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil schon fast 20 Jahre alt ist, so aktuell erscheint das von George Saunders aufgeschriebene, an Absurdität kaum zu überbietende Geschehen. Willkommen in der Gegenwart!
Inmitten des Landes Außen-Horner liegt das kleine Innen-Horner, das zu klein ist für seine nun auch nicht gerade gigantische Bevölkerung, den Innen-Horneriten. Den unvermeidlichen Aufenthalt im Nachbarland empfinden die Nachbarn, richtig: die Außen-Horneriten, als unverschämte Grenzüberschreitung. Es braucht nur einen kleinen Tropfen, und das Fass läuft über – und es braucht nur einen, der sagt, was zu tun ist ...
„Das war Phil, ein Außen-Hornerit in den mittleren Jahren, der allgemein als verbitterter Versager betrachtet wurde.“
Eben dieser Phil tritt nun auf knapp hundert Seiten seinen Siegeszug an, und alles, was Saunders in kühner und gewitzter Sprachakrobatik schreibt, kommt einem schrecklich bekannt vor: Fake News, Manipulationen, ökonomische Fragen als Machthebel, ein entschiedenes „Wir“ gegen „Sie“, Ausgrenzung und Verächtlichmachung des Anderen bis hin zur Vernichtung – und zum Schluss eine Machtergreifung, die auf offener Bühne stattfindet und gar nicht mehr vortäuschen muss, etwas anderes zu sein.
Zum Schluss? Nein. In Saunders absurdem Theater findet sich ein mutiges Völkchen, das dem Tyrann doch noch Einhalt gebietet – und ein deus ex machina, der für einen "Neuanfang" sorgt.
Saunders untersucht mit diesem Büchlein, so schreibt er im Nachwort, „diverse Arten von Dysfunktionalität des 20. Jahrhunderts“ – vom Holocaust bis zum fremdenfeindlichen Klima nach 9/11. Er wollte „herausdestillieren, was uns als Menschenwesen plagt“: „einen Wesentlichen Menschlichen Defekt isolieren, der in allen Exzessen unserer Geschichte steckt“. Und er findet das menschliche Ego: das Bedürfnis, sich selbst als Mittelpunkt von allem zu sehen, während alle anderen nur Nebenrollen spielen.
„Phil versucht … den Zustand des Gewinnens dauerhaft zu machen. Er will unaufhörlich siegreich sein, ohne Miesmacher oder verkomplizierende Belange. Um diesen Zustand zu erreichen, muss er, wie jeder Diktator, auf einer verzerrten Sicht der Wirklichkeit beharren, in der eigentlich niemand sonst existiert.“
Im Nachwort entschuldigt sich Saunders beinah: es käme ihm so vor, als hätte er Donald Trump vorausgesagt, dabei wäre der nur eine Art Machbarkeitsnachweis für die von ihm entworfene Figur eines Wesens, die "aus reinem Ego besteht". Sie ist der Mittelpunkt eines sprachlich kühnen Kunstwerks, mit dem Saunders einmal mehr auf den Spuren Nikolai Gogols wandelt: eine bitterböse, intelligente Komödie voller Witz, die sich bisweilen überschlägt – und dann wieder ziemlich sicher auf den Füßen landet.