Einheitsbild

Ralf Rothmann: Feuer brennt nicht

Ralf Rothmann: Feuer brennt nicht (Suhrkamp)

Ein Liebender, der am Ende den Abschiedsbrief seiner Freundin selbst verfassen muss: Glücklicherweise gibt es Schriftsteller. Glücklicherweise gibt es diesen Schriftsteller, Wolf, der uns diesen Roman beschert: Künstler-, Liebes- und Gesellschaftsroman, mit einer Hauptfigur, die gern Bohemien sein möchte, es aber nur zum verzagten Romantiker schafft. Uns aber in seinen Beobachtungen, Erinnerungen, Reflexionen ein selten gewordenes Mosaik aus Liebesbildern, sentenzenhaften Reflexionen, distanzierter Gesellschaftsdiagnose und vor allem poetischer Überhöhung / Übermalung vermittelt - das in allem, in Leid und Begehren und Selbstzweifeln und Selbstgerechtigkeit, schön stellvertretend für den Leser die Arbeit übernimmt. Sich über Wasser zu halten, seine Eigenarten zu hegen, seine Frauen zu lieben und zu verdammen. Und natürlich: die Umwelt auseinanderzunehmen.

Rothmann, der den gesamten Roman über - bis auf das leise erschütternde Ende - die Perspektive seines Alter Ego (?) Wolf einnimmt, nimmt zunächst einmal die Umwelt wahr. Ausführlich, konkret, aber immer mit einem Sinn für das Besondere, das über den Moment der Naturbeschreibung hinausgeht. Ob es sich um Rehe im Wald handelt, um den See vor den Toren Berlins oder den angeschafften Dalmatiner - nie wird die Beschreibung zum Selbstzweck, wie bei dem späten die Poesie verteidigenden Handke, nie verliert sie ihren Rhythmus. Atmosphärisch dichter, konkreter wurde lange nicht mehr erzählt von der den Menschen umgebenden Welt.

Und das in einem "Berlin-Roman". Aus dem langsam zur Mitte der Republik verkommenen Westteil der Stadt zieht der Schriftsteller mit seiner Freundin Alina in den "tiefsten" Osten: nach Friedrichshagen an den Müggelsee, wo die einstige Stasi-Elite ihre Villen hatte, und die Wendeverlierer heute noch ihre Wendegewinne hüten wie den Augapfel. In dieser ostdeutschen Gesellschaft, ostdeutscher als es überhaupt geht, wirft Wolf einen anderen, zynisch zu nennenden, aber eigentlich nur kalt sezierenden Blick auf die Ostdeutschen am Rande der Wiedervereinigung. Solche Zeilen hätte man noch vor fünf Jahren schwerlich schreiben können, ohne dass ein Aufschrei durch den Ostteil der Republik gegangen wäre. Denn Rothmann bringt den Starsinn und die Widersprüche ostdeutschen Denkens zwanzig Jahre nach Wende ziemlich genau auf den Punkt. Und erklärt ganz nebenbei, wie Enttäuschung und Verlust mit Besitzstandsdenken und Verteidigungshaltung einhergehen. Spätestens gen Ende, wenn in einer selbsttätig erweiterten und umgebauten Villa irgendwo jenseits der letzten Straßenbahnstation, mitten im brandenburgischen Forst schon, mitten in der Nacht exotische Kakteen erblühen, während Menschen, die aus der Geschichte gefallen zu sein scheinen, sich drum herum zu einer obskuren Seance versammeln, zeigt sich, welche Blüten das Auseinanderfallen dieser Gesellschaft treibt.

Spiegelbildlich dazu das Geschehen im Privaten, im Beziehungsleben des in dieser Hinsicht wahrlich klassischen Schriftstellers. Folgt im Großen auf das Annähern ganzer Staaten die Ernüchterung, Entfremdung, Distanzierung, so ist das in diesem Roman auch mit der Liebe. Schön ist sie, voller Begehren steckt sie, Leid und Ängste und Schmerzen gehen mit ihr einher. Schematisch erscheinen die Frauengestalten in Wolfs Wahrnehmung: die romantisch-verklärte Alina, Zartheit in Person, mit einer verletzlichen Seele und einem großen Herzen, trifft auf die dämonisch-begehrenswerte Charlotte. Es geht viel um Sex bei dem chronisch unzufriedenen, besorgten und verzagten Wolf. Und auch wenn er weiß, wie sehr ihn die Liebe beflügelt, trägt, befreit - er kann nicht anders, als sie aufs Spiel zu setzen. Ein Einssein mit einer der Geliebten / Begehrten ist schier unmöglich, bei aller Anziehungskraft der Idee davon. So erweist sich Wolf als praktisch "geerdeter", existenzieller Romantiker in der Nachfolge Houellebeqcs, der um die Möglichkeit der Befriedigung des Begehrens bei gleichzeitig unstillbarer Sehnsucht weiß. Was ihn nicht davor rettet, dass die Frauen in seinem Leben Projektionsflächen bleiben, um deren Verständnis er sich nur in "Maßen" bemüht. Die Geschichte ist am Ende klüger. Doch gut, dass es sie gab.