Ein Jahr zum Vergessen

Von der Bildungskatastrophe zur Schule der Zukunft

Wer Klaus Zierers Buch über die Bildungskatastrophe nach Corona liest, könnte schnell den Eindruck bekommen: Um die Schulen in Deutschland stand es auch vorher nicht so doll. Und ebenso wie in anderen Bereichen – Gesundheit oder Digitalisierung etwa – erwies sich die Corona-Pandemie auch bei der Bildung als Katalysator, der bestehende Probleme intensiviert hat und in den Fokus holt. Was ja auch eine Chance sein könnte.

Das etwa dürfte auch die Absicht des an der Universität Augsburg lehrenden Pädagogen Zierer gewesen sein, mit der er nun – schon sehr schnell nach den Schulschließungen – einen engagierten Diskussionsvorschlag vorlegt. Mit einer kurzen, aber wohltuend panikfreien Bestandaufnahme zeigt er:

"Die Bildungskatastrophe ist im vollen Gang."

Skizzenhaft beschriebt Zierer unter Rückgriff auf internationale Studien, was die Corona-Pandemie für Kinder und Jugendliche bedeutete: Rückgang der Lernleistungen, psychische Belastungen v.a. aufgrund der sozialen Beschränkungen, Auswirkungen auch auf die körperliche Gesundheit. Das alles ist wenig überraschend – ebenso wenig wie die unvermeidliche Schlussfolgerung, was das für die (Schul-) Zeit nach Corona bedeutet: "Kinder und Jugendliche brauchen mehr denn je Zeit und Raum für Spiel, Sport und Bewegung." Ein Gros der Eltern dürfte dem ohne Zögern beipflichten.

Im zweiten Teil des Buches unternimmt Zierer einen fundierten Rundumblick auf "Ansätze zur Abwehr der drohenden Bildungskatastrophe" und, noch fundamentaler, "Grundsätze der Bildung nach Corona". Das ist extrem erhellend, greift Zierer doch versiert auf allerlei theoretische Grundlagen zurück – und schafft es gleichzeitig, in knapper kompakter Form seine Forderungen zu formulieren. Meine These: Nichts davon wäre weniger dringlich, hätte es die Schulschließungen der letzten Monate nicht gegeben.

Weniger PISA, mehr Bildung

Denn Zierer weist auf die grundsätzlichen Schwachstellen der heutigen Schulpolitik – gerade im Hinblick auf uns bevorstehende Herausfoderungen – hin: auf das nach wie vor heikle Thema Bildungsgerechtigkeit und auf ein verengtes Bildungsverständnis, das Schule immer noch nur als "Lernort" und nicht als "Bildungsraum" versteht. Er begrüßt die Digitalisierung – jedoch nicht als (alleiniges) Allheilmittel. Vielmehr zeigt er in Auseinandersetzung u.a. mit Lehrplänen und Lehrerausbildung, wie eine Schule der Zukunft aussehen müsse. Auf den Punkt gebracht z.B. durch das "4K-Modell": Kollaboration, Kommunikation, Kreativität und kritisches Denken müssten im Fokus des Schullalltags stehen. Möglich zum Beispiel durch Entlastung der Lehrpläne, Entschleunigung und Ermöglichung kollektiver Prozesse, durch Stärkung aller Beteiligten und Ermöglichen einer Beziehungskultur.

"Aktuelle Lehrpläne bereiten die junge Generation nicht auf das vor, was wir heute schon wissen – und nicht auf das, was wir heute noch nicht wissen können. Sie bereiten Sie auf das vor, was gestern wichtig. Die nachwachsende Generation braucht nicht nur die Tiefe in einem Fach, sondern auch die Verknüpfung der Fächer, nicht nur Expertentum, sondern auch Kreativität, nicht nur egozentrisches Leistungsstreben, sondern auch eine respektvolle und ethische Haltung gegenüber der Mit- und Umwelt."

Das ist nur ein kleiner Auszug aus dem von Klaus Zierer vorgeschlagenen Maßnahmenbündel. Letztendlich nimmt er die sich abzeichnende Bildungskatastrophe zum Anlass, nichts weniger als eine "gute Schule" zu fordern – jenseits von Moden und von der Politik herbeigeredeten "Bildungsrevolutionen". Schule als Bildungsraum, als Ort der Freude? In dem schmalen Band über Ein Jahr zum Vergessen finden sich zahlreiche Anregungen für diese Vision.

Klaus Zierer: Ein Jahr zum Vergessen. Wie wir die drohende Bildungskatastrophe nach Corona verhindern. Herder 2021