Einmal einfach
Zu MIchael Krüger
Ins Reine, Umstellung der Zeit und nun Einmal einfach – Michael Krüger, 1943 geboren, erkundet in seinen in verlässlicher Regelmäßigkeit erscheinenden Lyrik-Bänden den Abschied und die eigenen Erinnerungen, vor allem aber das nach wie vor nicht zu fassende Geheimnis, das jenseits der Aufgeregtheiten der modernen Welt vor unseren Augen liegt. Ein in seiner Leichtigkeit und Tiefe gleichermaßen beeindruckendes "Alterswerk".
Vielleicht brauchen wir nichts zu wünschen?
Vielleicht leben wir schon im Paradies?
Die jüngste Gedichtsammlung von Michael Krüger versammelt in drei Abschnitten "Gelegenheitsgedichte" (Goethe) und, sozusagen als Zugabe, einen Zyklus unter dem Titel "Verpaßte Gelegenheiten". "Durchs Gedichteschreiben möchte ich dem näher kommen, was mich umgibt", schrieb ernst Hermann Lenz. Unter dem Titel Vielleicht lebst du weiter im Stein gab Krüger bei Suhrkamp eine Sammlung von dessen Gedichten heraus. Auf Reisen und im heimischen Garten, auf Spaziergängen und in Begegnungen mit Menschen und Landschaften findet der einstige Verleger nun zahlreiche Gelegenheiten, die es nicht zu verpassen gilt – die aber auch nie ganz ergründet werden können.
Krügers meist kurze, in einfachster Sprache das Wahrgenommene verdichtende Texte funktionieren wie kleine Essays. Meist nehmen sie ihren Ausgang in einem wahrgenommenen Detail, oft in der Betrachtung der Natur. Das Sinnliche will gesehen, beschrieben und gelesen werden. In ihm zeigt sich der Sehnsuchtsort des Dichters - und gleichzeitig seine Heimsuchung. Die Welt, allzumal die sinnlich erfahrbare, ist für Michael Krüger ein zu lesendes Buch, behält jedoch ihre Geheimnisse am Ende für sich, sorgt für Irritation und Unruhe. In den Dingen schläft hier mehr als nur ein Lied; hier ruhen nicht zu ergründende Größe und Abgrund gleichermaßen. Diese Ahnung durchzieht den Gedichtband, begründet die Melancholie des Lyrikers und ist gleichermaßen sein Trost.
Wenn der Apfelbaum nicht wäre
in meinem Garten, ich gäbe auf.
So pendeln Krügers Gedichte zwischen dem Wahrgenommenen und dem, was die Wahrnehmung übersteigt. Die Welt ist größer als alles, was wir beschreiben können. Umso stärker fällt Krügers Beschränkung auf das "Einfache", auf das Konkrete ins Gewicht. Krüger ist ein Flaneur, ein Spaziergänger, der sich unter einem Baum niederlässt und im Summen der Bienen eine Spur Gottes erahnt. Der sich ganz auf seine Wahrnehmung stützt und ihr dennoch mißtraut. Jeder Beschreibung wohnt ein Moment der Vergeblichkeit inne; das große "Trotzdem" stiftet etwas, was man als Altersweisheit bezeichnen könnte. Krüger spricht nicht über das, worüber sich nicht sprechen lässt – doch er gibt sich auch nicht mit dem Schweigen zufrieden.
Stattdessen stimmt er das "Lob der Unvollkommenheit" an, wird nicht müde, im "Buch der Blätter" eines Baumes zu lesen, wie ihm überhaupt Bäume die besten Lehrer sind, genießt die Stille und übt den aufrechten Gang. Die mit allen Sinnen erfahrene Natur ist, natürlich, das große Korrektiv einer – aus der Perspektive des ganz und gar nicht Altersmilden – sich selbst vergessenden Welt. Krüger nimmt Abschied von den leeren Versprechungen der Gegenwart, von der Suche nach Sinn, von Fortschrittsglauben und großen Erzählungen:
Aber die Tiefe reizt mich nicht,
solange ich den Vögeln zuschauen kann
Der Leser begibt sich mit dieser Lyrik auf eine Wanderung "ins Einfache", erprobt die "Umstellung der Zeit". Eine leise Lektüre des tatäglichen Versuchs, auf den Punkt zu kommen, in der bloßen Gegenwart zu wurzeln, zur Welt zu finden. Die Wahrheit, so zeigt Michael Krüger, ist am Ende immer konkret. Zufälle und Flüchtigkeit zeichnen die Gelegenheiten aus, die der Schreibende immer schon verpasst und dennoch notiert. Die Wahrheit liegt jenseits des Sagbaren, doch in der Sprache lebt die Sehnsucht.
Komm, laß uns gehen, das Gehen
hilft uns, das Geläufige verstehen,
ohne daß wir es übersetzen müssen.