London Rules

"Rette deinen Arsch" - so heißt die erste der London Rules. Im Laufe dieses fünften Romans aus Mick Herrons Slow Horses-Reihe über eine Handvoll ausrangierter Spione lernen wir noch die ein oder andere weitere Regel kennen. Wenig überraschend: die Regeln, um im politischen London der Gegenwart zu überleben, sind, sagen wir mal, ethisch-moralisch von zweifelhafter Sorte. Und damit wohl das beste Spiegelbild einer Gesellschaft, die in Konkurrenz- und Lagerdenken, in Egoismus und medial geschürter Hysterie versinkt. Klingt bekannt? So weit weg sind wir vielleicht gar nicht von Herrons bitterböser Beschreibung der Verhältnisse im britischen Königreich.

Mick Herron: London Rules. Ein Fall für Jackson Lamb. Diogenes 2022

Aber langsam: Die Slow Horses – die lahmen Gäule – sind eine Unterabteilung des MI5. Hier treffen sich die Agenten des britischen Geheimdienstes, die ihre Karriere in den Sand gesetzt haben: Versager, Trottel, Alkoholiker, Choleriker. Sie spielen praktisch keine aktive Rolle mehr und sind so vor allem versiert im Aussitzen und Sprüche-Klopfen. Wie es nun dazu kommt, dass diese Chaostruppe in die Ermittlungen rund um eine Reihe geheimnisvoller Anschläge hineingezogen wird, ist, nunja, kompliziert. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass einer dieser Anschläge auf ein Pinguingehege verübt wird und ein anderer, ein Bombenattentat in einem Zug, maximal schief geht, passt das irgendwie. In diesem Roman läuft praktisch nichts nach Plan.

In dem Maße aber, in dem immer mehr schief geht, steigt auch der Druck auf die Beteiligten. Welche geheimnisvolle Terroreinheit steckt hinter den Anschlägen, die die Nation verunsichern? Welche Verbindung besteht zwischen dem Sitz der Slow Horses und den unbekannten Tätern? Wer kann hier wem gefährlich werden? Warum ist all das ein Problem für das politische London – bis hinauf zum Premierminister? Und können aufs Abstellgleis versetzte Spione Terroristen nicht nur bei der Ausführung ihrer unheilvollen Pläne helfen – sondern sie am Ende vielleicht auch vereiteln?

Mick Herron hat eine bitterböse Agenten-Satire geschrieben, die auf die politischen Verhältnisse in UK zielt, auf das Brexit-Chaos, auf politische Korruption, auf das versierte Spiel mit medialer Aufmerksamkeit. Das ist mitunter von unschlagbarer Komik: die Pointen in den Dialogen der Slow Horses sitzen dermaßen, dass man sie wahrscheinlich 1:1 in die nächste Staffel der gleichnamigen Serie übernehmen kann. Es geht allerdings mitunter auf Kosten der Spannung, die durch das ständige Schielen auf den nächsten witzigen Kommentar permanent unterlaufen wird. Die Slow Horses wären eben nicht jene lahmen Gäule, wenn sie ihr Geschäft derart verstünden wie das Personal eines einschlägigen Thrillers. Was für Krimileser*innen mit Hunger auf Spannung vielleicht etwas enttäuschend ist, bietet für Freunde des britischen Humors in jedem Fall großes Lesevergnügen.


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