Das Haus in dem Gudelia stirbt
Sommer 2024: Eine Jahrhunderflut wälzt sich durch das kleine Dorf Unterlingen. Mitten in der Nacht entdeckt die 81jährige Gudelia aus dem Fenster ihres Hauses in den Wassermaßen zwei Menschen, an den Händen gefesselt, tot. Inmitten der Katastrophe interessiert sich niemand so richtig für ihre Beobachtungen, doch später, ganz zuletzt, wird die Polizei durch ihre Hinweise den Täter finden. Gudelia indes wird, das ist aufgrund des Titels dieses beklemmenden Verlags-Debüts von Thomas Knüwer kein Spoilern, in ihrem Haus von den Ereignissen überrollt – und am Ende selbst sterben.
Das Haus in dem Gudelia stirbt bildet schon länger den Mittelpunkt und einzigen Halt im Leben der allein lebenden Frau. Ihr Mann Heinz war Alkoholiker und ist schon länger tot. Auch ihr Sohn Nico ist gestorben – in einer Nacht im Jahr 1984. Knüwer springt in verlässlichem Rhythmus zwischen den Ereignissen 1984, dem Jahr 1998 und der Gegenwart hin und her. Konsequent aus der Perspektive der zunächst trauernden Mutter, dann hartnäckig kämpfenden Ehefrau und zuletzt der etwas wunderlichen Alten erzählend, legt Knüwer vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe eine fast archaisch anmutende, grausame Tragödie aus Verzweiflung, Rache und Schuld frei. Während Gudelia zu Beginn noch als Opfer der Ereignisse erscheint, beginnt man irgendwann ihre Verstrickungen zu erahnen, denen sie nicht entkommen wird…
Der endlose Monolog Gudelias findet in stakkatohaften, atemlosen Sätzen statt, die nur ganz langsam den Kern von Gudelias Geschichte freilegen. Zwischen Rechtfertigung und Schuldgeständnis erzählen die kurzen Sätze viel von der Zeit, in der sich Gudelias Leben ereignet: von der ungebrochenen Vorherrschaft des Mannes in den 1980er Jahren, von der psychischen wie ökologischen Abhängigkeit der Frau, die sich dafür bis zur Selbstverneinung an ihr Kind klammert.
Das Haus, das einst einzig ihrem Mann gehörte, wird ihr Schicksal – als es von der Flut eingeholt wird und in sich zusammenfällt, bricht auch das Lügengebäude ein, das die vom Leben verhärtete Frau bis zum letzten Atemzug aufrechtzuhalten sucht.