Astrid Lindgrens Näs
Post aus Vimmerby
Auf dem Weg vom südschwedischen Blekinge bis ins immer noch südschwedische Västergötland (die räumlichen Dimensionen Schwedens sind für deutsche Verhältnisse zunächst gewöhnungsbedürftig) bietet sich ein Ort für eine Pause wie sonst keiner: Vimmerby. Hier, in der Mitte des waldreichen Småland, spielen zahlreiche Romane von Astrid Lindgren – hier steht auch der Hof, auf dem sie aufgewachsen ist: Astrid Lindgren Näs.
"Hier in Näs ist sie in den Limonadenbaum geklettert und hier hat sie mit ihren Geschwistern im Tischlerschuppen gespielt. Hier hat sie im Heu getobt und hier hat sie sich die Märchen in Kristins Küche angehört."
Von ihr selbst zu Lebzeiten noch erworben und heute hoch, wie es heißt, von der Familie bewohnt, beherbergt das Astrid Lindgren Näs eines der bezauberndsten Museen über eine Autorin oder einen Autoren, das sich denken lässt – weil es Lindgren kein ehrfurchtsvolles Denkmal setzt, sondern die Besucher*innen mit der Lindgren eigenen Verspieltheit und Kreativität auf Entdeckungsreise schickt.
Die Gärten
Die ungleich meiste Zeit davon verirren wir uns bereitwillig in den wilden, bezaubernden Gärten des Näs. Große Bücher verknüpfen einzelne Motive aus den Werken der Autorin mit der fantasievollen, aber zurückhaltenden Gestaltung der Gärten. So wandeln wir durch ein unwirkliches Gartenreich irgendwo zwischen Wildnis und Phantasie, liebevoll gestaltet, doch gleichsam sich selbst überlassen. Zwischen Brennnesselbeet, Limonadenbaum und Spielhain vergessen wir die Zeit, entdecken Kunstinstallationen und Fotoausstellungen, folgen Erinnerungen, entdecken Gedanken aus Lindgrens Büchern – und tun ab und zu nichts außer verblüfft in die Landschaft zu starren.
"Eigentlich ist ein Garten ein einziger großer 'Raum der Kreativität'. ... Einfallsreichtum ist Astrid Lindgrens Signum. Sowohl in Bezug auf Wörter und Tiraden, als auch auf Lieder und Spiele. Sie schafft Welten, in denen nichts unmöglich erscheint, in der neue Wörter Form' annehmen und alte Wörter eine neue Bedeutung erhalten, in der Dinge einen neuen Verwendungszweck bekommen und Spiele auf einer Frühlingsweise anfangen und in einem Schloss aufhören. Dort liegt die Größe: sich daran zu erinnern, wie stark die Fantasie der Kinder ist, und sich zu weigern, vor einer Welt zu kapitulieren, die einer solchen Fantasie Grenzen setzt."
Butiken för omöjliga saker
Der "Kaufladen für unmögliche Dinge" fand diesen Sommern seinen Platz in zwei der Gartenhäuser. Zwei schwedische Künstler*innen, Carina Bodelson Lönn und Magnus Lönn, spielen passend zum Ort allerlei Spiele mit Worten und Sprache. Alltagsgegenstände werden zu Buchstaben, Wortneuschöpfungen wörtlich genommen, Sprache in Gegenstände verwandelt. Aus "Füllesee" stammen die Dinge, die hier "upgecycled" werden, um die Welt auf den Kopf zu stellen.
Astrid Lindgren und die Kraft des Erzählens
"Ein kleines Mädchen hört Anfang des 20. Jahrhunderts ihre erste Geschichte. Das versetzt ihre kindliche Seele in Schwingungen, die nie wieder wirklich zur Ruhe kommen sollten. Das Mädchen heißt Astrid und wird zu Schwedens größter Kinderbuchautorin heranwachsen."
Mit dem Vorsatz, schnell noch die Ausstellung über die Autorin zu absolvieren, betreten wir den letzten Bereich. Ich habe gar nicht so die Riesen Beziehung zu Lindgren – bisher. Denn die Ausstellung zeichnet mit allen Mitten ein lebendiges, beeindruckendes Bild der Autorin, ihrer Werke und ihrer Zeit, was für alle Alter gut funktioniert: Spielen, Singen, Lesen, Hören, Sehen – alles ist in den eigentlich überschaubaren Räumlichkeiten der Ausstellung möglich.
Zu Beginn steht die Urszene des Erzählens in Astrid Lindgrens Werken, die mit einem liebevoll gestalteten Animationsfilm vergegenwärtigt wird. Dann folgen wichtige Stationen in ihrem Leben und wichtige Aspekte ihrer Werke: Kindheit auf dem Hof in Vimmerby, schwierige aber auch befreiende Teenagerjahre, die frühe Schwangerschaft, Flucht nach Stockholm, Kriegsjahre, Eheleben, Erfolge als Schriftstellerin und Autorin, Alter.
Hier gibt es viel zu entdecken und auszuprobieren, und berührt und beeindruckt verlassen wir diese Ausstellung, die uns lange im Gedächtnis bleiben wird. Eine Einladung, so manches Buch noch einmal aus dem Regal zu ziehen, ist das allemal...