Mio, mein Mio

Wenn man schon unterwegs in die Heimat von Astrid Lindgren ist, darf die passende Vorleselektüre nicht fehlen. Die Wahl fiel auf Mio, mein Mio. Das Buch fällt nicht unbedingt unter die bekanntesten Werke der schwedischen Kinderbuchautorin, es wurde aber vor ein paar Jahren im Oetinger Verlag mit Illustrationen von Johan Egerkrans neu aufgelegt.

Ich liebäugelte damit schon länger, da ich mit Mio, mein Mio eines der einprägsamsten Filmerlebnisse meiner Kindheit verbinde: die Verfilmung mit u.a. Christian Bale und Christopher Lee, eine, wie jetzt herausfand, Koproduktion von Schweden, Norwegen und Russland, sah ich 1989 mehrere Male hintereinander im alten Filmeck in der Hoyerswerdaer Altstadt. Bei Kartenpreisen im Pfennigbereich auch kein Problem.

Filmplakat zu Mio mein Mio
Das Filmplakat hing noch Jahre lang in meinem damaligen Kinderzimmer.

Aber genug der Nostalgie. So neu die faszinierenden, aber nicht immer ganz gelungenen Illustrationen Egerkrans' sind, so alt ist die Übersetzung. Der Verlag greift ein weiteres Mal auf die 1955 erstmals veröffentlichte Übersetzung von Karl Kurt Peters zurück – was dem Lesevergnügen keinen Abbruch tut, denn der Text wirkt in keinem Moment angestaubt. Eher im Gegenteil: das laute Lesen des mit zahlreichen Wiederholungen arbeitenden Textes erweist sich als dunkle, faszinierende Erfahrung, allzumal Lindgren in dem Buch unverkennbar die Schrecken ihrer Zeit verarbeitet. Krieg, Faschismus, Konzentrationslager und Verschleppung hallen als Echo in dem dunklen Raum wieder, der zwischen dem "Land der Ferne", dem "Wald der Dunkelheit" und dem "Toten See" aufgespannt wird.

Eine Reise in die Finsternis

Das "Land der Ferne" ist ein märchenhaftes Reich, in den es den Waisenjungen Bo Vilhelm Olsson gleich zu Beginn verschlägt. Hier wohnt sein Vater, der König, hier findet er neue Freunde – vor allem aber ist es eine Welt, in der Kinder ernst und wahrgenommen werden. So ernst, dass sie, wie im Fall des Jungen, der nun Bosse heißt, auch einmal die Welt retten können.

Da beginnt denn auch die Heldenmission des blonden Jungen mit dem weißen Pferd Miramis und dem Freund Jim-Jum. Denn nein, auch in dieser phantastischen Welt ist nicht alles gut: Kinder sind verschwunden und kreisen als verzauberte Vögel über dem Toten See, und die ganze Natur schreit auf, sobald der Name der Verkörperung des Bösen fällt: Ritter Kato ist der schwarze Herrscher, der besiegt werden muss. Es ist dieselbe Grundgeschichte wie in Tolkiens Herrn der Ringe – doch Lindgren schreibt mit viel Ernst und dichter Sprache über den Kampf von Klein gegen Groß und den Kampf gegen die eigene Angst.

"Oh, warum musste gerade ich gegen Ritter Kato kämpfen? Ich bereute es so sehr, während ich dort hinter dem Felsen lag. Warum war ich nicht zu Hause geblieben bei meinem Vater, dem König, wo mir niemand mein Pferd wegnehmen konnte! Ich hörte die verzauberten Vögel über dem See schreien, aber ich kümmerte mich nicht darum. Sollten sie doch verzaubert bleiben, wenn ich nur meinen Miramis mit der Goldmähne behalten durfte!
Mio, mein Mio. Buch erschienen im Oetinger Verlag
Astrid Lindgren: Mio, mein Mio. Aus dem Schwedischen vorn Karl Kurt Peters. Mit Illustrationen von Johan Egerkrans. Oetinger Verlag 2022

Das Buch ist aufgrund seiner ernsten Thematik und seiner dunklen Sprache nichts für schwache (Kinder-) Nerven. Doch es erzählt auf beeindruckende Weise davon, wie Jede*r seinen Teil beisteuern kann für eine bessere, glücklichere Welt. Und es ist – gerade heute – schon beeindruckend, wie die ganze Natur unter dem Bösen leidet und dem Kind zur Hilfe eilt, das gegen den scheinbar unbesiegbaren Gegner in den Kampf zieht.

Dabei findet Johan Egerkrans immer wieder tolle und tiefe Bilder in prächtigen Farben – nur manchmal wünscht man sich (als erwachsene*r Leser*in) etwas weniger Bebilderung. Lindgren selbst "verbot" den Illustrator*innen, den König und Ritter Kato zu zeigen – höchstens eine Hand, ein Arm oder eine Eisenklaue sollte zu sehen sein. Diesem Wunsch folgen Egerkrans und der Verlag (leider?) nicht.

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