Die Geschichten in uns
Vom Schreiben und vom Leben
Ich gebe zu, ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas von Benedict Wells gelesen. Und so war es nicht wie sicherlich bei vielen anderen der Autor, der mich zu diesem soeben erschienen Buch Vom Schreiben und vom Leben greifen ließ, sondern das Thema: was ist denn das nun mit dem Schreiben, und wie geht es – aus Sicht eines erfolgreichen Autors?
"Ein Buch wie eine persönliche Begegnung", lese ich im Klappentext, und ja, genauso lesen sich diese fast 400 Seiten über Die Geschichten in uns. Wie ein Gespräch im Café nebenan oder nach einer Lesung, nur dass Wells so viel erzählt, dass es sich das Gelesene eher wie eine Werkstattwoche anfühlt. Nur eben in nett.
Gleich im Vorwort nennt er das Vorbild für sein Buch: On Writing von Stephen King hätte ihn mit seiner Ermutigung, durchzuhalten, und den Einblicken in den Arbeitsprozess "gerettet", so Wells. Weswegen er in den zwei Teilen von Die Geschichten in uns genau darüber schreibt. Wobei er, da ist er ganz Erzähler, immer in Geschichten und nie in bloßer Theorie von seiner Kunst berichtet.
Der Weg zum Schreiben
Wells' Weg zum Schreiben beginnt in seiner Schilderung sehr früh. Etwa mit Pu der Bär von A.A.Milne, dem erste Buch, das der vielleicht Siebenjährige liest. Die Bücher, die er nachts auf der Internatstoilette verschlingt (Paul Maar, Astrid Lindgren). Später dann Hotel New Hampshire von John Irving (das ich vor geraumer Zeit in einem alten Kino als Theateraufführung inszenieren durfte).
"Kein Mensch kann von einem Buch mehr umgehauen worden sein als ich mit fünfzehn von Das Hotel New Hampshire."
Nach dem Abitur zieht Wells nach Berlin. Der Plan: Autor werden. Was sich bis dahin noch sehr geradlinig las, wird nun um einiges langwieriger und schwieriger. Der Weg zum Schreiben: eine Wanderung am Abgrund, immer nur Zentimeter vom Absturz oder Rückzug entfernt. Nicht umsonst nennt Wells sein 2. Kapitel: "Warum man nicht aufhört".
Und ja, hier finden am Schreiben Interessierte jede Menge Trost. Wells erzählt von Anfängen, jahrelanger Arbeit, zermürbenden Nächten, zahllosen Absagen, Umzügen, Lichtblicken... Bis dann irgendwann, einige Jahre später, ein Agent anbeisst – und kurz darauf das Wunder geschieht, und der Diogenes Verlag am Telefon ist.
Wenn Sie mal richtig mit einem Autoren mitfiebern wollen, lesen Sie Benedict Wells – dazu brauchen Sie selbst keine Schreibambitionen mitbringen!
Über das Schreiben
Die sind im zweiten Teil dieses Werkstattberichtes dann jedoch hilfreich. "Wie ein Roman entsteht", beschreibt Benedict Wells anhand seiner eigenen Arbeitsweise. Um dann zahlreiche Werkzeuge für das Überarbeiten einer Geschichte so praxisnah als möglich zu beschreiben. Das liest sich tatsächlich um einiges spannender, als es klingt, zum einen weil Wells auch hier aus dem Nähkästchen plaudert. Zum anderen aber, weil sein Werkzeugkasten ein paar höchst effektive Tools bereithält.
Klar, über Charaktere liest man sicherlich in jedem Schreibratgeber. Aber haben Sie schon mal über Schnitte nachgedacht? Oder was eigentlich effektive Mittel sind, um das Geschriebene zu verdichten? Und wie geht eigentlich Spannung? Daneben erzählt Wells von Schreibritualen ("Durchhalten!") oder von der Suche nach dem guten Einstieg, vom Nacheifern und Nachahmen mit den Vorbildern und, na klar, "Fehlern als Umwege".
Was bei alldem so tröstlich wie ermutigend ist: Benedict Wells zeigt Schreiben als hartes Handwerk, das dem Autor einiges an Disziplin, Muskelkraft und Frustrationstoleranz abverlangt. Und gleichzeitig ist es ein "großer Spaß" (David Foster Wallace). Also weitermachen!