Briefe aus der Bretagne (5)
Ploumanac'h: der ideale Ort für einen zweiwöchigen Familienurlaub. Ein Häufchen alter bretonischer Steinhäuser, zwischen Buchten und Felsen gelegen, meist nicht höher als zwei Etagen, dazwischen eine Handvoll Hotelbauten neueren Datums, die sich zurückhaltend ins Stadtbild einfügen. Die Gegend um den Ort gibt genug Attraktionen her, um alle zwei Tage einen Ausflug unternehmen zu können. Langeweile kommt hier nicht auf.
Gleich am dritten Tag besuchen wir in südwestlicher Richtung das sympathische, anarchisch-fröhliche und garantiert TÜV-freie Village Gaulois, wo wir zwar wider Erwarten keine Spur von Asterix und Obelix, Silja dafür aber auf Anhieb zwei deutsche Freunde findet. Deren Eltern, Derek Meister und Marion Meister erweisen sich an den folgenden Tagen nicht nur als äußerst entspannte Wegbegleiter - sondern auch als Thriller- und Jugendbuchautoren, die abends auf dem Campingplatz an ihren aktuellen Werken arbeiten.
Zusammen erkunden wir die Gegend: das gleich hinterm Ortsausgang gelegene Vallée des Traouïéro, in dessen urwaldgleicher Wildnis die Kinder auf Goldsuche gehen, und den westlich gelegenen Nachbarort Trégastel, dessen Grève de Toul-Drez bei Ebbe einer schier endlosen Sand- und Steinwüste gleicht.
In östliche Richtung begeben wir ans einem der heißesten Tage über den malerischen, wilden Sentier des Douaniers Richtung Perros-Guirec. Es sind wenige Kilometer, für die wir aber aufgrund endloser Kletterorgien auf schroff über der Küste aufgetürmten Granitfelsen weit länger benötigen als gedacht.
Während wir schwächeln, stürmt das Kind voran (Handkes Wort von den Kinderhüpfschritten fällt mir ein) - angezogen von der Aussicht auf die Plage de Trestraou, wo wir uns in die kalten Fluten stürzen. Die Stadt selbst ist eher ernüchternd: abseits der mondänen (und mondän hässlichen) Touristenzentren gähnt die Langeweile.
Nördlich von Ploumanac'h liegt das Vogelschutzgebiet Sept-Iles, das wir auf einer Bootsfahrt umschiffen. Höhepunkt: Landgang auf der Iles aux Moines, einem wilden, von Vögeln und ein paar Marinesoldaten bewohnten Berg inmitten der Fluten.
Anderntags dann geht es nach Süden ins Land hinein. Durch die alte Stadt Lannion über immer schmaler werdende Sträßchen zur Chappelle Notre-Dame-de-Kerfon. Auf Englisch bietet uns eine Studentin, die scheinbar zur Gemeinde der von ihrer langen Geschichte gezeichneten, erst vor ein paar Jahren ausgeraubten Kirche zwischen den Feldern gehört, eine kleine Führung an, die wir im Nachgang Silja übersetzen. In Erinnerung bleibt vor allem der Altar, der zwar "zurückerobert" werden konnte, dessen ursprüngliche Goldlegierung aber mit Knallgelb nachgebessert wurde: restauriert wird hier nicht nach Maßgabe des Kunstwerks, sondern gemäß der vorhandenen Möglichkeiten.
Jenseits des Léguer liegt das Chateau de Tonquédec, das wieder einmal die Frage aufwirft: Kennen die Franzosen keinen TÜV? Im Regen klettern wir durch die Burgruine, die von ein paar Ziegen bewohnt wird und gänzlich ohne Hinweisschilder, Geländer, Absperrungen auskommt. Wir steigen dunkle, glatte Treppen hinauf in die gut erhaltenen Türme des mittelalterlichen Schlosses. Wenn sich das Kind dann oben aus den unvergitterten Fenstern beugt, wünscht man sich eine Leine - tief unter uns liegt die malerische Wildnis des Léguer-Tals.
Direkt gegenüber die liebenswürdigste Crèperie dieses Urlaubs: ein Wirt und seine Kinder bedienen uns im alten Wohnzimmer der La Plage mit ausgefallenen Kreationen, während die Kinder einiger vorm Regen geflüchteter Familien zwischen uralten Möbelstücken spielen. So essen wir Galettes mit Ziegenkäse und Honig und trinken Cidre am Mittagstisch. Dass die Gaumenfreuden hier immer nur einen Steinwurf entfernt sind, trägt, ich gebe es zu, nicht unmaßgeblich zu den Urlaubsfreuden bei.