Einheitsbild
Erzähl mir, wir haben noch Zeit
Erzähl mir, der Weg wird ganz leicht
Erzähl mir, dass du, bis ich geh, bei mir bleibst
- Nils Koppruch
1
Das blinde Vertrauen; wie einst. Die sagenhafte Ur-Einheit, diese nicht hinterfragbare Erfahrung einer Gemeinschaft, die dich umgibt, die vor dir da ist und um dich ist, nicht getrennt du und die Welt. Noch ist keine deiner Fragen ohne Antwort geblieben, noch löst sich jedes Unverständnis einfach in Klarheit auf.
Gedanken während der Betrachtung des schlafenden Kindes. Es wird mir, kaum erwacht, seine Träume schildern und nicht einen Moment daran zweifeln, dass ich verstehe.
2
Irgendwann stellt der Mensch dann fest, dass er für sich ist; ein Individuum, auf sich gestellt, ein Ich, dass das Du sucht, vielleicht das Wir. In jeder Beziehung suchen wir den Zwischenraum. Fortan bleibt nur die Hoffnung: auf Antwort auf unsere Fragen; der Glaube vielleicht an jemanden, der sich verantwortlich zeigt, der uns von unseren Ängsten erlöst.
Dem Glück, dem Gott oder dem Vertrauen sei Dank: Es gibt auch noch die Liebe.
Ich erlebe mich, seit denken kann, als ein Hier, das einem Da gegenüber steht. Immer wieder, nicht nur im Scheitern, die Bodenlosigkeit meines Daseins. Irgendwer hat Geworfensein dazu gesagt. Ich bin hingeworfen, du bist hingeworfen - derart ver- und zerstreut bleibt uns eigentlich nur das permanente Hantieren mit Arbeitshypothesen, um etwas Licht in das Dunkel unseres Menschseins zu bringen. Ich entwerfe ein Bild von mir, das mir - seien es noch so vorläufige - Antworten auf die Fragen zu meiner Herkunft und meiner Zukunft zu geben vermag.
3
Manchmal tut es Wunder, diese hyperaktive, nach Bestätigung und Betätigung süchtige Ego gehen zu lassen; den kritischen Geist, der aus seiner Ecke alles ihm Begegnende beäugt und bewertet, nur um am Ende mit leeren Händen zwar, doch als erfolgreich sich Behauptender dazustehen. Weg mit der Skepsis, dem Desinteresse, dem Fremdeln. Lass deine Meinung zuhause und die Welt geschehen.
So erging es mir zuletzt bei einem Gottesdienst: Nachdem ich die leise aber unaufhörlich kommentierende Stimme nach draußen verwiesen und dem Besserwisser in mir seine eigene Unwissenheit gelassen hatte, erlebte ich eine Gemeinschaft von Individuen, die hier einmal für ein paar Minuten ihre Individualität sein lassen konnten.
Wir alle haben die gleichen Ängste, tragen mit uns das gleiche Leid. Wenn die Menschen an diesem Morgen, in dieser Runde, etwas suchten, dann das Versprechen: das sie nicht allein sind. Dass wir die Angst teilen. So auch das Leben.