Ich glaube an Engel – manche fahren Bus
Ich werde nie vergessen, wie der russische Pianist Daniil Trifonow bei seiner Aufführung von Bachs Kunst der Fuge am Ende seines Streifzugs durch die Komplexität und Dynamik der Bach'schen Fugen in die Stille fand; und wie aus der Stille ein ganz einfacher, berührender Choral erwuchs. Wie die Klänge der betriebsamen Welt entstanden und dann zurückblieben, erschloss sich mir auf ganz einleuchtende Weise das Wesen der Spiritualität: egal, wie laut, wie schnell, wie chaotisch es zugehen mag, der Kern, der Kraftort, die Stille – sie sind immer da. Und ich kann immer dahin zurückkehren.
Wenn Frank Berzbachs Essays in spiritueller Absicht in ganz persönliche Porträts von Nick Cave und Patti Smith münden, dann geschieht da etwas ganz ähnliches. Denn der in Hamburg und Köln lebende Autor hat mit den im jüngst erschienenen Band Ich glaube an Engel – manche fahren Bus versammelten Texten die Gegenwart durchstreift und allerlei Phänomene betrachtet, die nicht immer sofort einleuchten, wenn man an Spiritualität denkt. Bei Cave und Smith kommt er spürbar nach Hause.
So nimmt er Patti Smiths heilige Wut zum Anlass, über das Verhältnis von Popkultur und Christentum nachzudenken, über das Verhältnis von Außenseitern zur Gesellschaft, vom Evangelium zu vermeintlichen christlichen Werten. Und über die Funktion von Popkultur / Spiritualität:
"Wer sich gegen die Varianten des Glaubens richtet, der die christlichen Werte mit Füßen tritt, der braucht Verbündete und er braucht mehr Kraft als andere. Manchmal verliere ich die Energie, zu viele zu schlechte Meldungen prasseln auf mich ein. Ich muss mich dann wieder an den Strom anschließen, aus einer guten Quelle schöpfen ..."
Eine solch "gute Quelle" ist für Berzbach die Popkultur – und zwar in ihrer gesamten Fülle und Vielfalt. So lässt sich in seinem Porträt der "Mutter des Punk" ohne Umschweife auch ein Selbstporträt entdecken (und gleichzeitig eine Art "Programm" für dieses und andere Bücher des Autors):
"Diese Heilige des Rock'n'Roll ist für die da, die jede Art binärer Unterscheidung, jedes "Entweder – oder" ablehnen – Patti Smith ist ein permanentes "Sowohl – als auch". Und paradoxerweise macht genau das sie zu einem großen "Ja, Ja".
Zen-Buddhismus und katholische Kirche, Köln und St. Pauli, "Die Kunst zu lesen" und ein Faible für Popkultur von Andy Warhol bis Lana del Rey: die Welt ist zu groß, das Leben zu kurz, um irgendetwas auszuschließen und nicht auch das Gegensätzlichste so intensiv als möglich verstehen und genießen zu wollen.
Berzbach zeigt sich in seinen kurzen, oft sehr persönlichen Texten als Flaneur, der die Städte durchstreift, hungrig nach Begegnungen und Erfahrungen, interessiert an den (oft überraschenden) Zwischenräumen. Und (was nicht so sehr überrascht): am Alltäglichen, oft Übersehenen.
Ob Menschen im Hotel oder ein Busfahrer, ob Todesarten oder die Spuren der Eisenbahn in der eigenen Familiengeschichte: der schmale Band, erschienen im Vier-Türme-Verlag der Münsterschwarzacher Abtei (Anselm Grün), bedient die normalen Erwartungen an spirituelle Texte in keinster Weise. Ob Gott, Gebet, Glaube oder Transzendenz: Berzbach legt maximal Spuren, die sich im Lesen zu Wegen öffnen (können). Sehr verschieden und heterogen sie auch immer sind: eine Inspiration für bewusstes Hinschauen, Hinhören, Nach- und vor allem Mitfühlen sind diese Texte allemal.