Gottlos beten
Jesuitische Spiritualität

Die Vorworte der beiden hier vorgestellten Bücher wurden am gleichen Tag verfasst, was, so legt es eine Fußnote nahe, keinesfalls Zufall ist: dass sowohl Andreas R. Batlogg als auch Niklaus Brantschen ihre jüngst erschienenen Bücher am 31. Juli 2021 mit einem Geleitschreiben auf den Weg bringen, verweist auf die Achtung vor ihrem Ordensgründer. Beide sind Jesuiten, also Mitglieder der Gesellschaft Jesu, und der 31. Juli ist der Gedenktag des heiligen Ignatius von Loyola.
Wie es die Herkunft der Autoren nahelegt, geht es Batlogg wie Brantschen auf den ersten Blick um das gleiche Unterfangen: um die Suche nach einem lebendigen Zugang zur (christlichen) Spiritualität. Die Wege unterscheiden sich jedoch – sowohl inhaltlich als auch formal – ganz ordentlich.
Jesus begegnen

Jesus begegnen: wie geht das? Dieser Frage geht Andreas R. Batlogg in seinem gleichnamigen Buch in 33 Kapiteln nach. In der Begegnung mit Jesus, daran lässt er keinen Zweifel, sieht er den Schlüssel für ein lebendiges, authentisches Christentum:
"Kirche(n) gäbe es nicht, wenn sich nicht wieder und wieder, quer durch die Jahrhunderte, Menschen gefunden hätten, Männer wie Frauen, die seinetwegen ihr Leben umgekrempelt, sich ihm geweiht haben und dafür auf manches verzichteten – weil sie sagten: Ich habe Jesus gefunden! Genügt das? Trägt das?"
In Batlogs Buch finden sich teilweise sehr persönliche Schilderungen, es finden sich Betrachtungen zu Kunst und Literatur, ebenso aber theologische Ausführungen, die tief in die Geschichte der (katholischen) Kirche führen. Ignatius' Empfehlung folgend, beschreibt Batlogg die Möglichkeit eines "Gesprächs mit dem Gekreuzigten", schlägt den Bogen von Don Camillo zu Corona und macht immer wieder deutlich: Es ist zu wenig, über Jesus zu reden – das Herz christlicher Spiritualität fängt nur in der Begegnung mit Jesus Christus an zu schlagen. Batlogg hat lange zu Karl Rahner gearbeitet und zieht ihn in auch in diesem Buch häufig heran: "Das Christentum ist zuerst und zuletzt Christus selbst."
Doch wie einer historischen Person begegnen? Wie hinter all den Forschungen und Glaubensbekenntnissen Jesus nicht nur finden, sondern nahekommen – als Freund, Begleiter, Gegenüber? Die Geistlichen Übungen (Exerzitien) des Ordensgründers sind ein möglicher Weg, um auf dem Weg der biographischen und meditierenden Auseinandersetzung hinter das Tradierte und Geglaubte zu blicken.
So vielfältig die Zugänge in den 33 Kapiteln Batloggs sind, ich war irgendwann dennoch überfordert: Batlogg schreibt als Insider über eine lebenslange Suche und setzt sich mit theologischen Werken oder der Haltung der verschiedenen Päpste auf eine Weise auseinander, die doch recht viel Interesse an derlei "Interna" der (katholischen) Kirche erfordert, allzumal viele Details nur kurz angerissen werden. Der Weg der Begegnung ist bei Batlogg nicht zuletzt mit Büchern gepflastert, die zahlreich gewälzt und empfohlen werden. Sein Buch gerät darüber etwas unentschieden, ob es Ein- und Hinführung oder eher Bericht sein will, und richtet sich, so mein Eindruck, eher an Weggefährten als an Außenstehende.
Spirituelle Wegsuche zwischen Mystik und Zen

Ganz anders Niklaus Brantschen: Seine spirituelle Wegsuche ist ein ganz schmaler Band mit Kapiteln, die selten mehr als fünf Buchseiten umfassen. Unter dem Titel Gottlos beten öffnet Brantschen, der nicht nur Jesuit sondern auch Zen-Meister ist, ohne Scheuklappen und falsche Vorsicht alle möglichen Türen und Fenster, um frische Luft an scheinbar Altbekanntes zu lassen. Sein Büchlein handele, schreibt er im Vorwort,
"von der Kunst zu beten, zu glauben, zu leben und zu sterben,"
und dabei geht es ihm in keinem Moment um eine Definition oder eine Anleitung: er folgt eher den eigenen, teils ohne Antwort gebliebenen Fragen, probiert Wege – auch ganz unkonventionelle – aus; immer auf der Suche nach einer mystischen Spiritualität, in der sich Buddhist wie Christ, Atheist wie Agnostiker wiederfinden können (aber nicht müssen!). Das bleibt notgedrungen fragmentarisch, ist aber derart lebendig und persönlich geschrieben, dass auf diesen wenigen Seiten zahlreiche Fragen an die eigene Spiritualität zum Mitdenken einladen. Ein schmales Buch, dessen Gehalt (in Form von Inspiration und Denkanstößen) so immens ist, dass dieses Spätwerk des verdienten Jesuiten sich als Lebensbegleiter empfiehlt.
Am Ende hat Niklaus Brantschen kein Ergebnis vorzuweisen; auf Exkursen zu Eugen Ruge, Rudyard Kipling, Rainer Maria Rilke, Dietrich Bonhoeffer oder Meister Eckhart (um nur wenige zu nennen) hat er mit seinen Leser*innen jedoch weite Wege voller angeregter Diskussionen zurückgelegt. Ein Buch, das einem beim Denken zuhört und zum Fühlen das Herz öffnet – ganz ohne Lehrmeinungen oder Ratgebertipps.
Ich war schon desöfteren bei den Jesuiten zu Gast (um Zazen zu üben) und jedesmal von der sehr einfachen, authentischen Spiritualität beeindruckt. Die beiden Bücher von Andreas R. Batlogg und Niklaus Brantschen haben mir noch einmal, passend zu Ostern, vor Augen geführt: eine lebendige christliche Spiritualität ist kein Wunder, sondern etwas, das in einfachsten Handlungen und Haltungen entsteht und geschieht.