Alter Herr

Philip Roth: Die Demütigung

Vielleicht ist es ja so, dass eine Erzählung sich gegen ihre Bezeichnung, ihren Titel, auflehnen und sich an ihr abarbeiten muss. Dass ein Autor sich damit einen Rahmen setzt, den er erfüllen oder sprengen muss, damit das „Werk“ größer wird als sein Titel. Vielleicht ist Schuld und Sühne deshalb so ein großes Werk geworden – wie bitte soll man auch mit diesen Begriffen fertig werden? Vielleicht verdankt auch Dostojewskis Erniedrigte und Beleidigte seine dunkle, faszinierende Abgründigkeit dieser im Titel enthaltenen Kränkung, die nicht einfach stehen gelassen werden kann. Und Philip Roth‘s letzter schmaler Band, Empörung, verdankt seine Wucht der titelgebenden Gefühlsregung, die jeden einzelnen Satz begründet. Vielleicht ist das das Problem von Roth‘s neuem, ebenso schmalen Roman Die Demütigung. Von der titelgebenden Schwäche kann das Werk jedenfalls nicht profitieren.

Richtig, dies hier ist das Terrain der Altmeister. Und als Altmeister kommt einem Philip Roth ein wenig vor wie der Clint Eastwood der amerikanischen Literatur. Regelmäßige Neuerscheinungen mit einer verlässlichen Qualität, die auf erprobtem Handwerk und einer respektablen Konsequenz beruht. Regelmäßig entstehen aus der Hand dieser „Altweisen“ Meisterwerke, und bei jedem hofft man, es möge nicht das letzte gewesen sein – der Welt würde etwas fehlen. Und wenn zwischendurch ein nicht ganz so „großes“ Werk erscheint, dann ist das oft immer noch besser als der ganz alltägliche Durchschnitt.

Um ein solch „nicht ganz so großes Werk“ handelt es sich wohl in diesem Fall. Das Problem der schmalen Erzählung über einen alternden Schauspieler, der sich in die Beziehung mit der lesbischen Tochter eines Jugendfreundes flüchtet, ist das Fehlen jener Notwendigkeit und Dichte, die Empörung so grandios, schmerzvoll, tragisch machte. Die Sätze schnurren in diesem Werk nicht zwangsläufig, widerstrebend und unwiederbringlich dem fatalen Ende entgegen – sie plätschern „einfach“ vor sich hin. Die Szenen folgen keiner Dramaturgie der tragischen Abwärtsspirale, sondern bleiben merkwürdig unverbunden, zwangslos nebeneinander stehen.

Dann kommt das Ende, und man ist schockiert.

Und das ist das Problem. Denn am Ende gelingt dem alten Herren, also sowohl dem Autoren als auch der Hauptfigur, dem krisengeschüttelten Schauspieler Simon Axler, ein Meisterwerk. Die letzten fünf Seiten machen diesen Roman lesenswert. Danach wagt man kaum, das Buch zuzuschlagen, so sehr dröhnt es einem im Kopf. Aber eigentlich ist man nur dem Theaterzauber des Philip Roth erlegen, der, hier merkt man es wieder, sein Handwerk versteht. Demütigung ist nämlich eine Mogelpackung. Vier Fünftel des Romans finden nicht so ganz zueinander, bleiben konstruiert, ja belanglos trotz aller Behauptung des Gegenteils – aber der Paukenschlag am Ende: der sitzt. Fast wie in Hollywood: Hauptsache, sie haben geweint.