"Atmen ist Vertrauen ohne Sicht"
Christian Lehnert
Letztlich bleibe ich heute gefangen in der Subjektivität meines Glaubens, und Glauben heißt dann, immer wieder das Offene zu suchen und in der Enge meiner selbst anzukommen,
schreibt Christian Lehnert in seinem Essay über Paulus, Korinthische Brocken[^1].
Am Beginn des Gedicht-Zyklus Aufkommender Atem[^2] findet sich die Zeile:
Und was ich glaube, ist ganz unverstanden.
Die kurzen, streng geformten Gedichte aus dem gleichnamigen Band sind gänzlich subjektive Notate, Meditationen; das betont schon die jeweils mitgegebene zeitliche und räumliche Verortung.
Doch die Gedichte umkreisen eine Leerstelle, über die man besser schweigt, da sich über sie nicht sprechen lässt. Das Ich in den Gedichten Lehnerts tastet sich nah an diesen Punkt, an den Grund seiner Existenz heran. Es wird ihn nie (be-) greifen. So bleibt es bei einer Annäherung - ehrfurchtsvoll, mit angemessenem Respekt, voller Sorgfalt; mehr schweigend als sprechend, und wenn sprechend: im Gestus der Frage.
Ich bin nicht hier, um Wahrheit einzusehen,
nicht um ein Leben abzusprechen, Licht
dringt nur in meine Augen, zu verstehen,
ist nicht gegeben, und es ist doch Licht.
Lehnert ist ein Spaziergänger, der oft stehenbleibt: schauend, staunend, atmend. Fragil ist die Verbindung zwischen dem Ich und der Welt; wie der Glaube verträgt sie nicht zu viele Worte. Im Atmen dagegen wird einem das Sein gewiss. Und dieser, der Aufkommende Atem führt weiter als nur zu mir … Etwa wie das Gehör:
Dass ich höre, sagt mir, dass ich nicht nur ich bin.
Christian Lehnert, Theologe und Pfarrer, erschreibt sich, mit tonnenschweren Glaubensfragen im Gepäck, ganz leichte einfache Formen, die mit aller Kunstfertigkeit versuchen, ganz nah (so behutsam wie ehrlich) ans Erleben zu gelangen. Er verfolgt die Sprache bis an ihren Ursprung, um von da aus, im Offenen, neu - und tiefer - zu atmen. Und beschreibt eine Möglichkeit des Glaubens als Frage, als Öffnung, als Hüten des Möglichen. Ohne Gewissheit.
Sprechend spüre ich, dass man Kopf ein Kokon ist.
Er birgt eine Larve, die ihre Gestalt sucht:
Ihretwegen gibt es die Präposition Gott.
[^1]: Christian Lehnert: Korinthische Brocken. Ein Essay über Paulus. Suhrkamp 2013.
[^2]: Christian Lehnert: Aufkommender Atem. Gedichte. Suhrkamp 2011.