Der Brand
Über die Liebe (in Zeiten des Ernstfalls)
"... and love is not a victory march,
it's a cold and it's a broken Hallelujah."
(Leonard Cohen''s Hallelujah, während Peter die Hühner füttert.)
Rahel Wunderlich heißt sie, und sie ist zu Beginn des Buches auf dem Weg durch die Dresdner Neustadt, von ihrer Praxis (sie ist Psychotherapeutin) in ihre Wohnung, in der sie zusammen mit ihrem Mann lebt (er ist Professor für Literaturwissenschaft an der TU Dresden). Wie in allen Büchern von Daniela Krien lernen wir die Figuren ihres neuen Romanes Der Brand an sehr konkreten Orten kennen, zunächst in Dresden, dann auf einem Hof in der Uckermark, der nach der Wiedervereinigung liebevoll saniert wurde und das allem Augenschein nach sehr idyllische Domizil eines befreundeten Paares ist.
Nein: dies ist trotz der in Ostdeutschland gelegenen Schauplätze kein Roman über ostdeutsche Befindlichkeiten – das Konkrete ist nur der Landeplatz für die Identifikation mit den Figuren. Kriens neues Werk ist auch mitnichten ein Rückzug vom breiten gesellschaftlichen Panorama (in Die Liebe im Ernstfall) ins Private, Beschauliche (ZEIT). Und erst recht ist Der Brand kein "Frauenroman", wie ab und zu hören ist. Jedenfalls habe ich als Mann über keinem Buch der letzten Jahre so viele Tränen vergossen wie über diesem schmalen, leichtfüßig daherkommenden Sommerstück.
Dabei ist die Konstruktion des Romanes eigentlich ziemlich durchschaubar. Peter und Rahel, seit 28 Jahren verheiratet, müssen ihre Urlaubspläne kurzfristig ändern. Ein Brand hat die Berghütte vernichtet, in die sich zurückziehen wollten. Sie fahren stattdessen auf den Hof von Ruth und ihrem Mann Viktor. Letzterer hatte einen Schlaganfall, und seine Frau ist bei ihm in der Rehaklinik. Beide wiederum sind alte Freunde von Rahels verstorbener Mutter Edith – Rahel selbst pflegt ein inniges Verhältnis zu ihnen. Ganz anders zu ihren zwei Kindern, Simon und Selma, die zusammen mit den Enkeln im Laufe der drei Wochen ebenfalls auf dem Hof auftauchen. Ein Beziehungsgeflecht aus Gegensätzen und Spiegelungen, in dessen Mitte sich Rahel und Peter gegenüber stehen – in angespanntem Schweigen, in über die Zeit zur Gewohnheit gewordenem Stillstand.
Leise Sehnsüchte, stille Vorwürfe, Sprachlosigkeit und die Wiederentdeckung der Zärtlichkeit: Kapitel für Kapitel ziehen die Tage ins Land, an denen der im Alltag weggeschwiegene Konflikt zwischen den Eheleuten zunächst aufbricht und dann, Schritt für Schritt, in Annäherung und Wiederentdeckung des Gemeinsamen mündet. Krien fürchtet bei der Zeichnung ihrer Figuren keine Klischees, und das ist gut so. Es entsteht ein generationsübergreifendes Bild einer Familie, in der die Gegensätze nicht größer, die Konfliktlinien nicht klarer gezeichnet sein könnten. Gleichzeitig aber ist es die beiläufig konkrete Erzählkunst Daniela Kriens, die diese Konstruktion zum Vibrieren bringt, den Figuren Leben einhaucht.
Der Brand lebt von der breit und ausführlich geschilderten Sommeridylle mit Tieren, See, Ereignislosigkeit – während allen Beteiligten gleichzeitig bewusst ist, dass die Idylle trügt. Wie bei Anton Tschechow oder in den von mir sehr geschätzten Stücken der Schweizer Autorin Sabine Harbeke genügen Krien kleine Gesten, kurze Gespräche, banale Geschehnisse, um die Risse im Bild zu vergrößern und, Seite für Seite, die Geheimnisse freizulegen, über die diese kleine, vertraut erscheinende Familie Tag für Tag geht. Das reicht bis zurück zu dem großen Brand, der Dresden am Ende des 2. Weltkrieges vernichtete und durch die Familiengeschichte bis in die Gegenwart wirkt.
Daniela Krien gelingt ein leises und nachhaltiges Kunststück: das Portrait einer in die Jahre gekommenen Beziehung, in der sich Zwei verlieren und wiederentdecken. Ein Kammerspiel über alternde Liebe und die Möglichkeit des Scheiterns. Über alte Geschichten und neue Wunden. Über den Verlust und das Neuerlernen von Sprache. Über Vergeblichkeit. Und Hoffnung.