Eines jungen Mannes Reise in die Nacht

Nach den extrem effizient erzählten Thrillern von Andreas Pflüger und Zoran Drvenkar – schnell, atemlos, auf Lücke und Schnitt hin geschrieben – nahm ich mir in den letzten Tagen dieses Jahres den neuen Roman von Håkan Nesser vor, der ein weiteres – laut Wikipedia neuntes – Mal seinen Ermittler Gunnar Barbarotti ins Feld schickt. An der Seite seine Frau Eva Backman, Inspektor Borgsen, der zu meiner Verwirrung regelmäßig Sorgsen genannt wird und weite Teile der Romanhandlung auf Abwegen verbringt, sowie einige weitere äußerst detailreich beschriebene, redselige Kommissare und Kommissarsanwärter, deren Namen mir schnell wieder entfallen sind: so wichtig waren sie dann doch nicht.

So viel vorweg: Nesser hatte es nach Pflüger und Drvenkar ziemlich schwer.

Håkan Nesser: Eines jungen Mannes Reise in die Nacht. Aus dem Schwedischen von Paul Berf. btb 2025

Der Roman Eines jungen Mannes Reise in die Nacht spielt im Frühjahr und Sommer 2022, und der allwissende Erzähler, der Ausschweifungen, Überlegungen und zuweilen ironische Kommentare sehr zu mögen scheint, wird nicht müde, immer wieder zu betonen, in welcher Welt sich die hier geschilderten Ereignisse zutragen. Es herrscht Krieg in der Ukraine, der Klimawandel schreitet voran, die Weltgeschichte wird gemacht von testosterongesättigten Unholden wie Putin, Trump und Erdogan (denen irgendwann in diesem Buch sogar der Tod gewünscht wird). Was das mit dem zu lösenden Kriminalfall zu tun hat? Nicht viel, aber ist ja gut zu wissen, was die von Nesser versammelten Figuren so denken.

Überhaupt: gedacht wird in diesem Buch sehr viel, gehandelt wird in der Regel immer erst nach eingängiger Erörterung, Nachfrage und Rückversicherung. Man kann das meisterhaft ironisch und witzig finden, ich fand es zunächst kurios, bald albern und alles in allem schlichtweg ziemlich langweilig. Dass manche Reflexion möglicherweise „irrelevant“ ist, bemerkt der Erzähler bald selbst – was ihn aber nicht davon abhält, munter weiter die Handlung zu kommentieren und die Polizisten ihr Tun unentwegt reflektieren zu lassen. Das führt denn zu Formulierungen wie: „Sie wurden in ein Wohnzimmer gebeten, das aussah wie ein modernes Wohnzimmer.“ Tut mir leid: Autor, Übersetzer, Lektor - irgendjemand hat da nicht sehr gut aufgepasst.

Ein Lehrer wird ermordet. Täter und Motiv unklar. Soweit ist das keine ungewöhnliche Ausgangslage für einen Kriminalroman. Dass es in diesem Stadtteil aber gar keine „Gangkriminalität“ gibt, ist eine so aufsehenerregende Information, dass jede der Figuren das mindestens einmal erwähnen muss, nachdem es der Erzähler gleich zu Beginn klargestellt hat:

„Kvarnbo ist eigentlich kein Problemviertel. Es gibt dort keine Gangkriminalität.“

Später einigt man sich auf den Begriff des „random killer“ – und prompt muss jeder Ermittler das mindestens einmal als Hypothese in den Raum stellen. Es sind diese unfreiwillig (?) komischen Dialoge, die im Ermittlungsgeschehen großen Raum einnehmen – während in einem zweiten Strang die Geschichte des jugendlichen Täters erzählt wird, der keinesfalls ein random killer ist, sondern mit einer zufällig gefundenen Waffe endlich einen Weg sieht, in der Welt für ein bisschen Gerechtigkeit zu sorgen.

Es ist schade, dass das ziemlich seltsame Ermittlerteam, das seine Zeit gern mit Wortspielereien, Weltbetrachtungen und Anspielungen verbringt, dem Roman so jegliche Spannung und Glaubwürdigkeit nimmt. Denn der Fall des 15-jährigen Erik, die Geschichte seiner Freundin Malin und die Reise der beiden Jugendlichen in die Nacht ist an sich ziemlich lesenswert.

Gunnar Barbarotti selbst findet in einem der unsäglich konstruierten Dialoge: „Humor ist meine Paradedisziplin.“ Ich würde sagen: Beruf verfehlt. Aber ich kenne ja die acht anderen, von ihm gelösten Fälle nicht.