Liebe in Zeiten des Hasses

Hannah Arendt. Simone de Beauvoir. Max Beckmann. Walter Benjamin. Gottfried Benn. Bertolt Brecht. Alfred Döblin. Marlene Dietrich. Ernest Hemingway. Ernst Jünger. Herrmann Hesse. Mascha Kaléko. Erich Kästner. Victor Klemperer. Man Ray. Erika, Klaus, Heinrich und Thomas Mann. Vladimir Nabokov. Picasso. Tucholsky... Dieser Auszug aus der Liste der Hauptfiguren lässt erahnen: Florian Illies' Buch Liebe in Zeiten des des Hasses ist die ideale Lektüre für beflissene Gymnasiasten, die beim nächsten Small Talk mit originellem Wissen über das (Liebes-) Leben von prominenten Zeitgenoss*innen der 1930er Jahre glänzen wollen.

"Niemand hofft 1929 noch auf die Zukunft. Und niemand will an die Vergangenheit erinnert werden. Darum sind alle so hemmungslos der Gegenwart verfallen."

Florian Illies: Liebe in Zeiten des Hasses. Chronik eines Gefühls 1929-1939. Fischer 2021

Für diesen neuen Band, Nachfolger des hoch gepriesenen 1913, hat sich Illies die Jahre 1929 bis 1939 vorgenommen. Die ausgehenden Goldenen Zwanziger sind ja für viele eine irgendwie glorreiche Zeit (stilistisch veredelt in TV-Produktion wie Babylon Berlin). Die 1930er dann erscheinen – nicht nur dazu im Kontrast – als Einbruch der Finsternis.

Im Grunde ist das auch die wenig originelle Grundthese dieser Chronik eines Gefühls (Untertitel): Das überraschend vielfältige, auch im Vergleich zur Gegenwart scheinbar schrankenlose Liebesleben der Roaring Twenties, wo jede Spielart neben der bürgerlichen Ehe erlaubt scheint, wird über Nacht durch die Terrorherrschaft der Nazis abgelöst, die den – wenig beleuchteten – Hintergrund dieses Buches bildet. Nicht nur die Kunst und die Intelligenz reisen nach 1933 in unfassbarem Ausmaß aus Deutschland aus – auch die Liebe flüchtet.

Diese Bewegung nun zeigt Illies, erstes Problem dieses Buches, fast ausschließlich an der Prominenz aus Literatur und Film, Theater und Musik, Wissenschaft und Philosophie. Spätestens nach 100 Seiten stellte sich bei mir eine tiefe Ermüdung ein angesichts all dieses "Promi-Klatsches", der da in kurzen Anekdoten ausgebreitet wird. Jeder schläft mit jedem oder gern auch jeder; Partner wechseln, wie bei Brecht, öfter, als man mit dem Umblättern hinterherkommt; und alles, was im Werk und Leben der großen Namen stattfindet, wird kurzgeschlossen (und nicht selten auch erklärt) mit dem Blick ins Schlafzimmer. Wo aber bleibt die einfache, ganz alltägliche Liebe?

Der Anspruch des Buches ist es, ein Panorama jener Zeit zu erzeugen. Ich fühlte mich allerdings eher in ein Wimmelbild versetzt. Das Personenverzeichnis enthält über 400 Namen! Jede und jeder hat einen Auftritt. In kurzen, oft auf eine kluge Pointe zielenden Skizzen werden alle aneinandergereiht und einander gleichgemacht. Illies richtet seine Kamera Seite für Seite auf ein anderes Paar, schwenkt quer durch Europa von Frankreich nach Schweden, verweilt, natürlich, länger in Paris oder Berlin, fährt mit dem Zug, mit dem Schiff, springt zurück nach Deutschland, verfolgt Brecht von Station zu Station und die Dietrich von Deutschland nach Amerika nach Frankreich ... Wirklich tief gehen die Schilderungen dabei in aller Regel nicht, es bleibt anekdotisch-feuilletonistisch.

"Brechts sadistische Lust, all seine Frauen gleichzeitig leiden zu sehen, ist bühnenreif."

Und ja, der Ton: Natürlich (?) ist Illies klüger als all seine Figuren, und so glänzt er mit pointierten Meinungen und einem paternalistisch-ironischen Ton, der es schnell macht, Distanz zu all den Liebenden aufzubauen. Besonders Jean-Paul Sartre, Brecht, Kästner oder Hesse kommen ganz schlecht weg. Dafür erfährt man allerdings auch ziemlich wenig über sie. Aber klar: für die schnelle Lektüre und die selbstgefällige Gegenwart sind diese einfachen Urteile natürlich optimal.

Im Interesse der Lesbarkeit passieren Illies aus meiner Sicht denn auch zahlreiche erzählerische Unglücke: etwa wenn er beim Schreiben über das brandenburgische Grünheide völlig unsinnigerweise eine Anspielung an Tesla unterbringen muss oder Paul Klee zu einer durch eine Wunde beigebrachte Blutvergiftung attestiert:

"Was für eine symbolische letzte Krankheit auf deutschem Boden."

Die vielen Schicksale in diesem Band, die vielen Menschenleben, die Illies streift: sie dienen als Spielzeug für den Regisseur Illies, der sie uns im Kolumnenformat präsentiert – bloßes Inventar für ein überbordendes und in dieser Form sicher auch faszinierendes Wimmelbild in Großformat. Doch in dem Maß, in dem der Blick des Autoren seine Figuren streift, wünschte man sich: Wäre er doch irgendwo mal länger geblieben, hätte sich festgelesen, fasziniert, irritiert, berührt von Blicken, Gesten, Gefühlen. Diese Intensität aber, die bleibt dem Leser, der Leserin anderswo zu suchen.