Jesus. Eine Weltgeschichte

"Er ändert alles."

Mit diesem Statement wird für die zweite Staffel der Jesus-Serie The Chosen geworben, einem Projekt von Filmemachern um den evangelikalen Christen Dallas Jenkins. Die Serie gilt je nach Standpunkt als gigantisches Missionsprojekt, das sich von bisherigen Jesus-Verfilmungen fundamental unterscheidet, oder als filmisch dann doch eher konventionelles Machwerk, das eine ziemlich einfache Glaubensauffassung mittels zeitgemäßer Marketing-Instrumente unter die Massen bringt. Doch darum soll es hier nicht gehen.

Vergleichbar mit dieser Serie scheint mir das monumental auftretende Buch von Martin Spieker zu sein, der dem Leben Jesus' schlappe 1000 Seiten widmet. Motto von Jesus. Eine Weltgeschichte:

"Er kam, sah und liebte."

Es ist derselbe Paukenschlag, von dem hier die Rede ist.

Markus Spieker: Jesus. Eine Weltgeschichte. Fontis Verlag 2021

Spieker, promovierter Historiker und weitgereister ARD-Reporter, hat mit diesem Buch ein Herzensprojekt umgesetzt. Als Pfarrerssohn und Historiker reizte es ihn lange, die, wie er sagt, "größte Geschichte aller Zeiten zu erzählen". Aber ist nicht eigentlich alles gesagt über diese "faszinierendste Figur der Welt"?

Allen Zweifeln und Superlativen zum Trotz machte sich Spieker an die Arbeit. Entstanden ist – ja was eigentlich: eine Biographie, Weltgeschichte, Bekenntnisschrift? Dafür, dass er eigentlich gar nichts Neues erzählt, wie Spieker im Vorwort betont, ist sein Buch doch ein ganz schön gewichtiger Brocken geworden.

"Ich habe versucht, alle relevanten Informationen über Jesus, seine Vorgeschichte und sein Weiterleben, zu sammeln, sie durch die Brille des Glaubens zu betrachten, sie nach bestem Gewissen zu gewichten und ihnen eine schlüssige Erzählstruktur zu geben."

Spieker hat enorm viel an Wissen und Informationen zusammengetragen. Als erfahrener Reporter weiß er, das Wissen gut zu verpacken und unterhaltsam, spannend, pointiert zu schreiben. Das Ergebnis: In diesem Buch erfährt der Leser nicht nur unheimlich viel über die Zeit vor, von und nach Jesus Christus – er bekommt an vielen Stellen sehr plastische, lebendige Einblicke in die reale geschichtliche Situation, in der Jesus auftrat. Das kann eine TV-Serie nicht besser.

Allerdings dauert es fast 300 Seiten, bis Jesus – der, der alles veränderte – auftritt. Im ersten Teil des stilbewussst komponierten Buches widmet sich Spieker der "Vorgeschichte": den Mythen und Glaubensvorstellungen im Alten Orient und der Entstehung der Jüdischen Bibel, des Alten Testaments. Schwierig wird es in meinen Augen da, wo die jüdischen Schriften recht eindimensional als Ankündigung des späteren Geschehens gelesen werden. Aber das Problem ist schon im Aufbau des Buches mit seiner Konzeption einer "Vorgeschichte" angelegt.

"Meine vielleicht wichtigste Entdeckung ist die solide historische Basis, auf der der Glaube an Jesus steht."

Jesus ist die Achse der Weltgeschichte, zeigt sich Spieker überzeugt. Merkwürdigerweise ist die Mitte des Buches, die Biographie Jesus', gleichzeitig sein schwächster Teil: es handelt sich weitgehend um Nacherzählungen und Erklärungen der Evangelienberichte, die dessen Leben und Botschaft mit der Taschenlampe bis in die hinstersten Winkel ausleuchten und trotz unzähliger historischer Details doch recht eindimensional wirken lassen.

Irritierend ist dabei das kaum oder nur in knappen Polemiken (natürlich: gegen die Bibelwissenschaft) angedeutete Schriftverständnis des Autors. Während er selbst höchst eklektizistisch die Biographie Jesu zusammensetzt, geht er weder auf die Unterschiede der Evangelien noch auf die ja nicht ganz unwichtigen Fragen der Textualität in der Bibel ein. Seine Evangeliensynthese blendet Widersprüche und somit auch den Schatz der Mehrdeutigkeit der Bibel weitgehend aus. Auch die Komposition der Texte und die intertextuellen Bezüge sind nur interessant, wenn sie – wie von Spieker vorgeführt – die Grundlage liefern, um Jesus als Erfüllung und Antwort auf die Ahnungen der vorchristlichen Zeit (aka der jüdischen Schriften) zu lesen.

Im dritten Teil dann springt Spieker durch die 2000 Jahre danach. Erzählt von Kirchenvätern und Konzilen, von Mystikerinnen und Reformatoren, von Musikern und Dichtern. Das Problem an diesem Unterfangen, die lebendige Wirkung Jesu' bis heute zu beschreiben, ist nicht so sehr die ganz offensichtliche Willkür und Subjektivität, die es braucht, um auch nur Auszüge einer Welt#, Kirchen- und Kulturgeschichte in die verbliebenen knapp 300 Seiten zu packen. Es ist eher auch hier das Übermaß an Informationen, die Spieker auf die Schnelle referiert – und die damit einhergehende Vereinfachung, die teils ärgerliche Wendungen nimmt.

So hat zwischen Fjodor Dostojewski, Thornton Wilder, Alfred Döblin, C.S.Lewis und J.R.R.Tolkien auch "der deutsche Atheist" Bertolt Brecht einen kurzen Auftritt. Als die Welt im Chaos versank, fiel diesem, so Spieker, auf die Frage, wie der Einzelne mit Not und Verfolgung umgehen kann, nur eine – deprimierende – Antwort ein: "Die Verhältnisse sind schuld." Schuld daran, im direkten Vergleich mit seinen Kollegen: sein Atheismus. Klar. Literaturgeschichte als Prophetendämmerung, mit direktem Übergang zur christlich fundierten Kulturkritik:

"Es sagt viel über die heutige Zeit aus, dass die Dramen von Bertolt Brecht zu den meistgespielten auf deutschen Bühnen gehören ..."

Die Brille des Glaubens, von der Markus Spieker im Vorwort schreibt, sie war mir dann doch zu stark. Ich setzte sie ab und sah ein monumentales Werk, geschrieben aus Leidenschaft und Begeisterung. Leider ist es oft so: umso überzeugter und begeisterter jemand schreibt, umso weniger überträgt sich diese Begeisterung. Vielleicht einfach schon aufgrund der fehlenden Selbstbeschränkung? Oder weil manche Antworten von (nicht nur evangelikalen) Christen doch zu einfach sind für die Komplexität der heutigen Welt?