Weiß der Himmel ...?
Prüfers Töchter zählte im letzten Jahr zu meinen Lieblingskolumnen: Es handelt sich dabei um die Art Text, wegen dem man eine Zeitung nicht nur nahezu widerstandlos kauft, sondern wegen dem man dann genau weiß, wo die Zeitung – in diesem Fall das ZEIT Magazin – als erstes aufzuschlagen ist. Jede Woche schreibt Tillmann Prüfer im hintersten Drittel des Magazins (und dankenswerterweise auch online) eine Seite über eine seiner Töchter, unterhaltsam, pointiert und mit der Prise Aberwitz, die das Leben mit Kindern wie kaum etwas anderes jederzeit bereithält. So schafft es der Autor, dass man die eigenen Kinder erleichtert wiedererkennt. Dann kann es ja so außergewöhnlich schlimm nicht sein, wenn andere Väter dieselben Geschichten, nur besser formuliert, erzählen können.
Ich brauchte 30 Seiten in Weiß der Himmel...?, bis ich realisierte, dass es sich bei dem Autor, der nach dem frühen Tod eines Freundes "über die Frage nach Leben und Tod stolpert", um eben jenen Kolumnisten aus dem ZEIT Magazin handelt. Auch hier gelingt es ihm, auf sehr persönliche Art von Erfahrungen zu erzählen, die andere vielleicht auf ganz ähnliche Weise gemacht haben.
Erschüttert vom Tod des Freundes, "stolpert" Prüfer an einem Sonntagmorgen in eine Berliner Kirche. Die kleine Gemeinschaft, die festen, auf den ersten Blick kaum verständlichen Ritualen folgt, die Kraft der Musik, die Unvollkommenheit des Settings, die eigene Verunsicherung bei gleichzeitiger Sympathie – bei der Schilderung dieses ersten, unbeholfenen Kirchgangs sah ich mich daran erinnert, wie ich selbst in die Kirche am Zwickauer Stadtrand stolperte, in einem Herbst vor wenigen Jahren erst, das im Wagen schlafende Neugeborene als Wegweiser und Alibi.
"Warum fällt glauben vielen Menschen meiner Generation so schwer?"
Prüfers weitere Stationen: ein Kloster im Südtirol, das nachhaltige Irritationen bereithält, und eine eher ernüchternde Reise nach Israel. Ernüchternd, bis Prüfer in der Grabeskirche vor dem Schrein steht, der Jesu Grab darstellen soll. Immer wieder kehrt er in die Gemeinde zurück, in der er sich zunächst so fremd gefühlt hat, arbeitet schon bald im Gemeinderat (in Sachsen Kirchenvorstand genannt) mit. An einem Pfingstmontag hält er in einer Hamburger Kirche einen Vortrag darüber, dass Glaube und Zweifel für ihn zusammenhängen.
In Berlin, der Stadt, in der die Kirchen leer sind, gibt es einen boomenden Markt an geistlichen Angeboten. ... Spiritualität ist hier eine Handelsware,
so Prüfers Beobachtung. Selbst zunehmend Stammgast in einer dieser leeren Kirchen, fragt er sich: Wieso sollte einem der christliche Glauben näher sein als gegenwärtige spirituelle Trends, Religionen ohne Gott, Naturreligionen? Wie soll man glauben, wo man doch so viel zu wissen glaubt? Führt Glaube ohne Zweifel in religiösen Fundamentalismus? Und welche Rolle spielt eine Gemeinde, um zum Glauben zu finden?
"Wie soll man glauben, ohne gleichzeitig ein kompletter Idiot zu sein?" Die Antwort, oder vielmehr die Arbeitshypothese, die er findet, lautet:
Religion ist keine spirituelle Kraft, die über uns schwebt, und auch keine feste Überzeugung. Sie ist das, was uns mit anderen Menschen verbindet.
Die Gottesfrage heute
Unter dem Titel "Die Gottesfrage heute" hielt Christiane Tietz einen beeindruckenden Vortrag bei Worthaus Pfingsten 2018. Auch sie beschreibt, wie das Leben ohne Gott selbstverständlich geworden ist, der christliche Glaube eine Option unter vielen. Sie spricht von Traditionsvergessenheit. Heute scheint es leichter zu fallen, an die Kraft der Steine zu glauben als an einen barmherzigen Gott. Auch Tietz sieht im Zweifel der Gegenwart einen Schlüssel für überzeugenden Glauben.
Prüfer ist kein erfahrener Theologie sondern – ähnlich wie beim Schreiben über seine Töchter – eher beobachtender und fragender Laie. Sein Annäherungsversuch an die Kirche stellt zahlreiche Fragen, die für Christen ebenso interessant sein dürften wie für Menschen, die mit dem Christentum nicht so viel anfangen können. Denn die Beobachtungen des "Kirchenfernen" und der Verzicht auf Antworten öffnen viele Türen für ein Gespräch über die Bedeutung des Glaubens im eigenen Leben. "Ein Leben ohne Glauben geht, aber es geht nicht gut", so Prüfer. Über die vielen Fragen, die er in seinem Buch thematisiert, öffnet er die Türen weit, die zum Nachdenken über Gott und den christlichen Glauben führen.
Irgendwann im Laufe des Buches beginnt Tillmann Prüfer von "seinem Glauben" zu sprechen – Ergebnis von Begegnungen und Erfahrungen, die so mancher von uns sucht. Leider zu selten in der Kirche. Dabei könnte (und kann!) man dort immer noch, immer wieder fündig werden. Ein Buch – eine Einladung.