Das Herz von Paris
Wann haben Sie zuletzt über einem Buch die Zeit vergessen, sind für einen Abend, einen Tag, ein Wochenende in den Seiten eines Bandes verschwunden? Mir ging das neulich so in Veronika Peters' Klosterjahren – einer weiteren Empfehlung aus, natürlich, Frank Berzbachs Kunst zu lesen. Nach diesem fesselnden autobiographischen Versuch über die Kunst des Neu-Anfangens und den steinigen Weg des sich treu Bleibens landete nun, halb wollte es der Zufall, halb wollte ich es, der neueste Roman der in Berlin lebenden Autorin auf meinem Schreib- und später Nachttisch. Analog zur eigenen Biographie verfolgt Peters hier eine "zornige junge Frau" auf ihrem Weg in die Selbstbestimmung – im Paris der 1920er Jahre.
Ann-Sophie von Schoeller hat es sozusagen im Handgepäck ihres Gatten, Zögling einer reichen Bankiersfamilie, in die Seine-Metropole verschlagen. Voller Widerwillen und recht einsam bewegt sie sich durch die ihr fremde Stadt, bis sich ein Tor zu einer Parallelwelt öffnet: dem Kreis von schreibenden, liebenden, unangepassten Frauen um die Buchhändlerin Sylvia Beach. Bevor sie sich mit Djunas Barnes oder Janet Flanner etwa in einem ganz und gar unbürgerlichen Lebensstil – und in der Kunst – verliert, vergisst sie Zeit und Raum über einer Erzählung von Djuna Barnes. Schoeller versteht nicht viel, doch lässt sich fasziniert und erregt auf das bevorstehende Abenteuer ein.
"Machen und das, was man macht: lieben. Das ist schon fast das ganze Geheimnis." – "Und was noch?" – "Aufrecht scheitern."
Im Grunde ist absehbar, was in der Folge geschieht: aus der verunsicherten Frau, die der Zufall in das Herz von Paris verschlagen hat, wird im Laufe der folgenden Jahre vielleicht nicht unbedingt eine femme fatale. Welche Eigenständigkeit, welche Entschiedenheit, welche Stärke Schoeller dann aber in Gesellschaft der unkonventionell Lebenden und Liebenden entwickelt, ist derart beeindruckend, dass die Frage, wie lange ihr Ehemann diesen Weg mitträgt, fast nebensächlich wird. Viel spannender dagegen ist die Frage, wann Schoeller ihrer eigenen Sprachkraft vertraut und selbst zu schreiben beginnt ...
Veronika Peters schildert den Weg der Ann-Sophie von Schoeller in pointierten Dialogen und auf Basis akribischer Recherche in den Zeugnissen der oben genannten Autorinnen. Das liest sich so authentisch und wie unterhaltsam, spart aber den Nervenkitzel bei jeder neu gezündeten Eskalationsstufe nicht aus. Wie der Maler Pierre Lablais von Schoeller trotz ihrer beharrlichen Weigerung malend verführt, zeichnet Peters so subtil, in zarten Strichen und mit leisen Tönen nach, dass beim Lesen vor Anspannung der Atem stockt. Man weiß, was geschieht, und will doch genau und ganz langsam erzählt bekommen, wie es geschieht.
Ein Fest der Erzählkunst, das die Literatur als Ausdruck eines unbeeindruckten Denkens, Lebens und Liebens feiert – womit sich denn auch der Kreis zu Peters' eigener Geschichte aus den Klosterjahren schließt.