City on Fire

Alles beginnt in Rhode Island im August 1986:

"Danny Ryan sieht die Frau dem Wasser entsteigen, sie taucht auf wie ein Bild aus einem Traum vom Meer, wie eine Vision. Nur dass sie real ist und es wegen ihr Ärger geben wird. Wie meistens mit schönen Frauen."

Schon im Anfang dieses großartigen Romans versammelt Don Winslow alle Zutaten, aus denen sich auf den nächsten 400 Seiten diese maßlose, alles umfassende Tragödie entwickeln wird.

Ryan steht zu Beginn eher am Rande eine irischen Gangster-Dynastie, die die Gewerkschaften und den Hafen in der ostamerikanischen Küstenstadt Providence kontrollieren, in Konkurrenz zu den italienischen Morrettis (die sich um Drogen und Prostitution kümmern). Nur wenige Seiten weiter wird er mit seiner geliebten Frau Terri in ihrem Cottage leidenschaftlichen Sex haben: die beiden lieben sich wirklich, aber ist diese Liebe stärker als das Ärgernis der hübschen Frau, das schon wie ein Schwert über ihnen hängt? Nichts wird bleiben, wie es ist.

"Wie meistens mit schönen Frauen": Winslow weiß, in welchem breiten Fahrwasser er sich mit City on Fire bewegt. Nahezu routiniert spielt er für diesen ersten Roman einer geplanten Trilogie auf der Klaviatur der Mafia-Geschichten und -Mythen. Allerdings macht er das so konsequent und mit düsterem, beißenden Humor, dass es einem beim Verschlingen seines Romans regelmäßig den Atem verschlägt.

Don Winslow: City on Fire. Übersetzt von Conny Lösch. HarperCollins 2022.

Die Schönheit aus dem Meer heißt Pam und heiratet wenig später den von den Morrettis krankenhausreif geprügelten Liam aus der irischen Murphy-Familie. Problem: sie war gerade noch mit einem Morretti liiert gewesen. Was nun los geht, mag man sich nur am Anfang ausmalen: Prügeleien, Rachepläne, Morde. Das Problem ist: es hört nicht auf. Gegenschlag folgt auf Gegenschlag. Winslow reiht in City on Fire zahllose "Wenn-Momente" aneinander:

"Der ganze entsetzliche Mist, der nun folgt, wäre nicht passiert..."

Wenn, ja wenn. Gegenschlag Beide Parteien verpassen immer wieder den Ausweg aus der Eskalationsspirale. Jeder gute Plan ist zum Scheitern verurteilt, weil irgendwie immer etwas schief läuft. Schießereien, Autobomben, Attentate: all das beschreibt Winslow nicht nur rasant und hochspannend, sondern auch mit viel schwarzem Humor – und Mitgefühl für die armen Täter, die auch als Opfer ihre Verantwortung in diesem Spiel einfach nicht abstreifen können.

" Diese scheiß Iren, immer munter der nächsten Niederlage entgegen. Immer stehen wir uns selbst im Wege."

Irgendwann brennt die ganze Stadt, und die Tragödie hat nahezu biblische Ausmaße angenommen. Und ja, City on Fire ist eben nicht nur ein grandios erzählter Kriminalroman, der die Versatzstücke des Gangstergenres neu und überraschend zusammenfügt. Es ist vielmehr das Buch für diesen Hitzesommer: Wir sind es doch selbst, deren Pläne regelmäßig daran scheitern, dass wir die eine naheliegende Option nicht ernst genug nehmen. So wachsen sich Die letzten Tage von Dogtown zu einer Parabel auf gegenwärtige Krisen aus. Winslow widmet sein Buch den Toten der Corona-Pandemie und hat angekündigt, demnächst von der Literatur zur Politik zu wechseln.


Schlagworte