Vertrauen

Aktuelle Krimis

Ich bin mal wieder auf den Krimi gekommen. Diesen Monat las ich gleich zwei (mehr oder minder neue) Kriminalromane nacheinander – und beide haben so einiges gemeinsam. Black Water Rising von Attica Locke hat zwar schon gut zehn Jahre auf dem Buckel, ist jedoch erst neulich auf Deutsch erschienen. Und auf Vertrauen, den neuen Roman des israelischen Autors Dror Mishani war ich so gespannt, weil dessen Vorgänger Drei an Spannung und Raffinesse kaum zu überbieten war.

Beide Bücher sind Teil einer Reihe von Krimis, in deren Zentrum jeweils ein Protagonist steht: Vertrauen ist schon der vierte Fall für den Kommissar Avi Avraham. Dagegen lernt der Leser in Black Water Rising den jungen, schwarzen Anwalt Jay Porter erst kennen, der mittlerweile in einem weiteren, noch nicht auf Deutsch erschienenen Band aufgetreten ist.

Beide Ermittler haben ganz klare literarische Vorbilder: Simenons Maigret taucht in Mishanis Vertrauen sogar implizit auf, während bei Locke in Stil und Persönlichkeit des sich immer mehr im undurchsichtigen Fall verlierenden Porter Raymond Chandlers Philip Marlowe durchscheint – fesselnd aktualisiert und um eine zutiefst politische Dimension erweitert.

Denn auch das teilen beide Bücher: Nicht nur sind die jeweiligen Fälle zutiefst komplex und weitreichend, sie führen auch tief hinein in eine gesellschaftliche Konfliktsituation.

Black Water Rising spielt im Texas der 1980er Jahre, zu Beginn der Reagan-Ära. Die Rassentrennung ist zwar aufgehoben, doch die Spannungen zwischen Schwarzen und Weißen – noch dazu im Süden der USA – sind alles andere als verschwunden. Als Jay Porter während einer nächtlichen Bootsfahrt eine weiße Frau rettet, beginnt daher ein schier bodenloser Strudel von Ereignissen, der den Anwalt mit Black-Power-Vergangenheit tief in die Verstrickungen von Politik und Öl-Industrie führt, Verfolgungsjagden und Schießereien inklusive – und mit den eigenen früheren Kämpfen konfrontiert.

Dror Mishani lässt hingegen zwei Fälle parallel laufen, die auf den ersten Blick (und über weite Teile des Buches) nichts miteinander zu tun haben: Ein Neugeborenes wird vor einem Krankenhaus ausgesetzt, und ein Tourist aus Frankreich verschwindet. Auch hier führen die Ermittlungen irgendwann in Geheimdienst- und Regierungskreise, und auch hier stehen einander – im Israel der Gegenwart – zwei Bevölkerungsgruppen gegenüber, die in die Fälle verstrickt sind: Isrealis auf der einen, Palästeninser auf der anderen Seite.

Während Avraham und Porter von ihren Fällen zunehmend aufgesogen werden und über vermeintlich unverrückbare Grenzen gehen, machen beide eine Entwicklung durch, die einem der Romane den Titel gab. Sie lernen, auf sich und ihr Gewissen zu vertrauen. In Authentizität, Ehrlichkeit und Konsequenz liegt, so legen die Romane nahe, der einzige Weg zur Befriedung auch gesellschaftlicher Spannungen. Mishani entwirft am Ende gar eine leise Utopie – während Locke da vorsichtiger ist: Man darf gespannt sein, wie es mit Jay Porter (in Pleasantville) weitergeht.

Leseempfehlung?

Uneingeschränkt für den Pageturner Black Water Rising.

Mishani konnte meine hohen Erwartungen (nach dem so geschickt konstruierten Drei) nicht erfüllen: zu langatmig, undurchsichtig und spannungsarm entwickeln sich die beiden Fälle. Vor allem aber ist mir der Erzähler in Vertrauen immer eine Spur zu klug (oder die Erzäählweise schlicht ein wenig schlampig): oft wird zu Beginn einer Szene der Ausgang vorausgegriffen, werden spätere Entwicklungen angedeutet, um dann erst das eigentliche Geschehen wiederzugeben. Was sich als Stilmittel nicht so recht erschließt, bewirkte letztendlich bei mir eine gewisse Ermüdung. Schade, sehr schade, angesichts des hoch relevanten Themas.

Dror Mishani: Vertrauen. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Diogenes 2022.
Attica Locke: Black Water Rising. Aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck. Mit einem Nachwort von Peter Henning. Polar 2021