In allen Spiegeln ist sie Schwarz
“Du hättest nicht herkommen sollen. In Amerika bekämpfst du deinen Gegner wenigstens bei Tageslicht,“
hört eine der drei schwarzen Hauptfiguren im Verlauf dieses Romans; da ist die Marketingexpertin Kemi schon seit einiger Zeit in Stockholm – heimisch ist sie hier noch lange nicht. In der schwedischen Hauptstadt laufen die Fäden des Romans In allen Spiegeln ist sie schwarz von Lola Akinmade Åkerström zusammen. Es sind die Lebensgeschichten dreier schwarzer Frauen (und eines weißen Mannes), die viel gemein haben mit der Biographie der in Nigeria geborenen, in den USA aufgewachsenen und nun in Stockholm lebenden Autorin.
Da ist zum Beispiel Kemi: Sie arbeitet erfolgreich in Boston in einer angesehenen Werbeagentur, hat wichtige Preise und Auszeichnungen gewonnen und ist als schwarze Frau dennoch unglücklich: „Amerika hatte Kemis Liebesleben zerstört.“ Nicht ganz unschuldig daran sind weiße Vorgesetzte und Kollegen – „kein Tag verging, an dem nicht irgendjemand bei ihr eine Grenze überschritt“. Es kommt etwas unheimlich aber gelegen, dass eine große schwedische Agentur sie an einem Montagmorgen via Telefon abwerben möchte. Kemi soll als Diversitätsexpertin die Reichweite und Attraktivität ihres neuen Arbeitsgebers erhöhen. Doch die schwedische Gesellschaft hält sich für offener, als sie es in Wirklichkeit ist – zumindest aus Sicht der Menschen, die nicht weiß und blond sind und fließend schwedisch sprechen (und dann zu allem Überdruss auch noch weiblich sind).
Kemis neuer Chef, Johan von Lundin, allerdings hat ein Faible für eben diese „anderen“ Menschen: er erliegt völlig willenlos der Schönheit schwarzer Frauen. Dieser Ruf umgibt ihn wie eine Wolke edlen Parfüms, und Brittany-Rae erfährt von Google schnell alles Notwendige, um skeptisch zu sein. Dennoch entsteht aus der Zufallsbegegung zwischen dem einstigen Model und dem schwedischen First-Class-Citizen bald eine leidenschaftliche Liebesgeschichte inkl. Traumhochzeit, Märchenschloss und Wunschkind. Auch Brittany-Rae verlässt Familie, Freunde und black community und beginnt in Schweden ein neues Leben: in tiefster Einsamkeit. Schon bald hat sie alle Selbständigkeit verloren und ist nur noch Projektionsfläche und Objekt des Begehrens.
Am anderen Ende der sozialen Skala bewegt sich Muna: aus Somalia geflüchtet, hat sie einige Zeit in einer Flüchtlingsunterkunft zugebracht, bevor sie in Stockholm ein eigenes Leben beginnen soll. Bedroht von Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit und Armut, kämpft sie für eine Zukunft in dem Land, in dem ihr zunächst nur wenige Türen offen stehen. Die Einsamkeit unter all den fremden Menschen holt sie bei allen kleinen Fortschritten immer wieder ein.
Viel mehr mag ich eigentlich gar nicht über dieses vielschichtige Buch sagen. Erst letztens schrieb ich über den neuen Roman von Dennis Lehane, wie nah die rassistische Gesellschaft des 20. Jahrhunderts uns doch noch immer ist. Åkerström nun spannt in diesem so finsteren wie mitreißenden Porträt einer Gesellschaft ein Netz aus Gegensätzen auf, die – willkommen im 21. Jahrhundert – eigentlich alle eng miteinander verbunden sind: Geschlecht, Kultur, Herkunft, Lebensweise, gesellschaftliche Zugehörigkeit… Und sie zeigt voller Empathie, wie die „offene Gesellschaft“ eines als liberal und fortschrittlich geltenden Landes wie Schweden mit all diesen Gegensätzen umgeht. Wir in Deutschland folgen ja leider auf dem Fuß.
Dennoch bringt Åkerström am Ende ihre Hoffnung zum Ausdruck, die hoffentlich mehr bleibt als der Wunsch der vielen, die eben ein ganz klein wenig anders sind:
“Tatsächlich sind wir alle auf perfekte Weise anders, und was uns anders macht, sollte innerhalb einer Gesellschaft voll und ganz gewürdigt werden.“