Bis in alle Endlichkeit
Erst im vergangenen Jahr legte der Suhrkamp-Verlag mit Fünf Winter die deutsche Übersetzung des großartigen Romans von James Krestrel vor. Auf 500 Seiten verfolgte der amerikanische Autor (der eigentlich Jonathan Moore heißt) den Detective Joe McGrady durch fünf kalte (Nach-)Kriegswinter und von Honolulu bis nach Japan. Ein Epos in Cinemascope: teils klassischer Noir, teils dunkler Politthriller – und gleichzeitig eine wunderschöne Liebesgeschichte. Fünf Winter war für manche eines der Bücher 2023.
Nun liegt ein neues Buch von Kestrel auf Deutsch vor – und ich war gespannt, ob Bis in alle Endlichkeit die hohen Erwartungen einlösen konnte, die der Vorgänger geweckt hatte.
Bis in alle Endlichkeit knüpft auffällig wenig an Stil und Inhalt des Vorgängers an. Zwar steht auch hier ein vom Leben sichtlich gebeutelter Privatdetektiv im Mittelpunkt, doch der erweist sich vor allem als Reminiszenz an einen anderen Autor. Statt dem grandiosen Epos, das in der Mischung von Stilmitteln und Handlungsebenen seinesgleichen suchte, ist Bis in alle Endlichkeit ein klassischer Noir, der mehr oder weniger direkt an Raymond Chandler anknüpft. Hier der Privatdetektiv mit kleinem Büro und fast ohne Geld, dort die reiche Oberschicht Kaliforniens mit großen Villen und dunklen Geheimnissen.
Lee Crowe in jedem Fall, bekannt für einen recht laxen Umgang mit den Grenzen des Rechts, stößt gleich auf der ersten Seite, ohne Vorbereitung, auf seinen "Fall": Claire Gravesend liegt tot auf dem Dach eines Rolls-Royce. Kurz darauf wird Crowe von der Mutter der Toten beauftragt, herauszufinden, was geschehen ist – koste es, was es wolle. Geld spielt keine Rolle...
Was so klassisch beginnt, entpuppt sich dann aber über viele Windungen und Kurven doch wieder als ein überraschender Stilmix. Denn es dauert nicht lange, da taucht eine Doppelgängerin von Claire auf – identisch mit der Toten bis hin zu den merkwürdigen kreisförmigen Narben, die beide auf dem Rücken haben. Welchen Ursprungs diese Narben sind und welche Verbindung zwischen den beiden jungen Frauen besteht, die wie eineiige Zwillinge wirken aber unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft sind, kann hier aus verständlichen Gründen nicht weiter ausgeführt werden.
In jedem Fall wird Crowe im Verlauf der Ermittlungen unmissverständlich und mehrfach mit seiner eigenen Endlichkeit konfrontiert, was den etwas unglücklichen deutschen Titel nicht wirklich besser macht. Im Original trägt der Roman den Titel Blood Relations.
Ob die Geschehnisse, die zu dem Tod von Claire Gravesend geführt haben, nicht mehr ganz so ferne Science Fiction oder ziemlich reale Dystopie sind, gehört zu den offenen, beängstigenden Fragen, die der juristisch und medizinisch ziemlich bewanderte Autor seinen Leser*innen zumutet.
Bis in alle Endlichkeit ist wie schon Fünf Winter definitiv ein Pageturner, der für wenig Schlaf und spannende Lesenächte sorgen dürfte, doch an den Vorgänger reicht das Buch nicht heran. Dazu fehlt es vielleicht einfach an dem Witz, der Chandlers Kriminalromane und seinen Marlowe so unwiderstehlich macht. Oder doch an der Liebesgeschichte? Es könnte sein, so der Autor, dass es irgendwann einen weiteren Roman über den Privatdetektiv Lee Crowe geben könnte. Ich würde sagen: Da geht noch was...