Der Braune Bär fliegt erst nach Mitternacht

In den letzten Monaten ist es still geworden hier im Buchblog. Trotz eines langen harten Winters habe ich so wenig gelesen wie seit Jahren nicht mehr. Schuld war nicht nur der pandemiebedingte Ausnahmezustand – Schuld waren auch, wie kann es anders sein, zwei Bücher. Auf den Spuren von Christian Sauer war ich fast täglich unterwegs: Draußen gehen heißen Buch und Devise (erschienen im Verlag Hermann Schmidt. Ein Buch, das Lust macht, raus zu gehen, sofort und immer wieder. Und die Ungeduld auf den Sommer nährt.

Und dann flatterte Johanna Rombergs Brauner Bär auf meinen Tisch – und es war um mich geschehen. Auch dieses Buch weckt die Lust, sofort und immer wieder in die Natur zu gehen – es öffnet aber vor allem die Augen für all die Schätze, die uns umgeben. Und für deren Gefährdung.

Eine unwiderstehliche "Einladung zum Hinschauen"

Wenn wir wollen, dass unsere Naturschätze überleben oder gar wiederaufleben, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass sie angeschaut werden, von möglichst vielen Menschen.

Im zuletzt an dieser Stelle besprochenen Buch, Eva von Redeckers Revolution für das Leben, war von der grundlegenden Gefahr nicht nur für unser, sondern für das Leben an sich die Rede. Und so wie Redecker in dieser Gefährdungssituation ganz konkret nach Lösungsansätzen sucht und diese in politischen Praktiken findet, so gibt sich auch die in Natur- und Wissenschaftsjournalismus erfahrene Autorin Romberg nicht mit der Klage zufrieden, sondern sucht nach Hoffnung und Zukunftschancen für die bedrohte Natur. Ihr Buch Der Braune Bär fliegt erst nach Mitternacht pendelt zwischen Faszination und Liebe zur Natur und der Sorge um deren unwiederbringliche Zerstörung.

Weil der "Zwiespalt zwischen Liebe und Sorge anspornt, sich eben nicht mit der Realität abzufinden", kann sie in ihrem Band eine "Sammlung von guten Nachrichten" präsentieren: in neun Sphären der Natur portraitiert sie Menschen, die sich schützend, beobachtend, forschend der Natur und ihren Lebewesen verschrieben haben. Sie zeigt nicht nur, dass deren Einsatz Früchte trägt, dass sich – wenn auch zu langsam und oft in zu geringem Maße – die Dinge ändern. Mit Leidenschaft, Kreativität und Lebendigkeit vermag sie vor allem, die Leser*innen zu bewegen, den Fuß vor die Tür zu setzen und die Schätze zu entdecken, die da draußen – meistens "noch", seltener "wieder" – warten. Eine unwiderstehliche "Einladung zum Hinschauen".

So viel Leben. So viel Reichtum.

Mit Stefan Brücher von der Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen entdeckt Romberg, selbst erfahrene "Birdwatcherin", den Lebensraum der Uhus in der Eifel und zeigt sich beeindruckt von dem lebenslangen Einsatz des Naturschützers für die zunehmend verdrängten Uhus. Ein Einsatz, der von Erfolg gekrönt ist: Heute ist die Eifel der am dichtesten besiedelte Uhu-Lebensraum in ganz Deutschland.

Naturbeobachtung, Nature Writing, Portrait von begeisterten und begeisternden Menschen und gleichzeitig vollgepackt mit ungeheuer viel Wissen: Johanna Romberg lädt ihren neun Reportagen so einiges auf. Umso erfreulicher für die Leser*innen, die dieses Buch mit viel Gewinn werden lesen können.

Schon in diesem ersten Kapitel, das zwischen Liebeserklärung an eine bedrohte Art und Aufmerken über kaum bekannte Fakten und nicht zu unterschätzende Erfolge wechselt, rückt die Natur so nahe wie in einer guten (sehr guten!) Tier-Doku. Was auch an dem bildhaften, lebendigen Schreibstil der Autorin liegt. Die Textform hat gegenüber dem Filmischen aber einen großen Vorteil: dass sie sich sehr viel mehr Zeit nehmen kann. Zeit, um Zusammenhänge aufzudröseln, in die Tiefe zu gehen und immer wieder einfach innezuhalten. So viel Leben. So viel Reichtum.

Ob der Einsatz für die Flussperlmuschel, das Gestalten von Gärten mit Blick auf die zahlreichen Schmetterlingsarten oder der so beschwerliche wie vielversprechende Kampf für eine naturverträglichere Landwirtschaft: immer wieder zeigt sich in der immensen Vielfalt, die da gefährdet ist, auch der beeindruckende Keim für ihre Rettung: der Erfindungsreichtum der Natur, in der alles mit allem zusammenhängt, und deren Vitalität (noch) nicht erschöpft ist.

Ein Förster kam eines Tages zu der Überzeugung, dass wir Menschen nie klüger sein können, als die Natur,

beginnt Johanna Romberg ihren Ausflug in den Lübecker Stadtwald, der sich dank des Einsatzes seines früheren Forstdirektors Lutz Fähser langsam vom klassischen Wirtschaftwald zum "naturnahen Wald" verwandeln darf. Was, so zeigt dieses Beispiel, nicht nur für den Wald sondern langfristig auch für den Menschen und die Wirtschaft von Vorteil ist. Genau davon handelt Der Braune Bär fliegt erst nach Mitternacht: von unserem Angewiesensein auf eine Natur, die wir noch bei weitem nicht zur Gänze verstehen. Und von den Möglichkeiten und Chancen, die in einem Umdenken, in einer neuen Wirtschafts- und Lebensweise, in einer ökologischen Politik und einem breiten gesellschaftlichen Engagement für den Umweltschutz liegen. Die Natur behält letztlich das letzte Wort. Besser ist es, ihr zuzuhören.

Mondays for Nature

Es bringt nichts, sich immer von Schreckensvisionen erdrücken zu lassen.

Immer wieder "zoomt" Johanna Romberg raus, blickt über den einzelnen Gegenstand hinauf das große Ganze. Und zeigt dann zum Beispiel, welche Bedeutung die – auch dank weiterhin fließender Subventionen – immer noch rückgängigen Moore für den Klimaschutz haben und wieso an der Renaturierung der Moore vielleicht unsere Zukunft hängt.

Im letzten Kapitel skizziert sie ihre Vorstellung einer breiten "Bürgerbewegung für eine Wiederbelebung der biologischen Vielfalt": "Mondays for Nature". Der bloße Schutz der Natur, das Bewahren des Status Quo reiche längst nicht mehr aus, so Romberg.

Mondays for Nature soll erreichen, wovon wir naturbegeisterten Menschen bislang nur träumen: dass die Vielfalt heimischer Wildtiere und Pflanzen ... wieder ganz Deutschland und im Idealfall auch Europa zurückerobert.

Dafür schlägt sie neun Erste-Hilfe-Maßnahmen vor, die zeigen, wieviel Arbeit, wieviel politischer Wille, wieviel (vorhandenes) Geld vonnöten ist – wie aber auch mit einfach Maßnahmen enorm viel Lebensqualität, Glück und Zukunft zu gewinnen sind. Wenn die Welt ein lebenswerterer Ort wird, dann wird sie dies für alle, für Tiere, Pflanzen und Menschen, oder für keinen, so ihre Botschaft.

Mit diesem Buch lädt Johanna Romberg zum Hinschauen ein – und zum Hoffen. Denn auch für die Hoffnung gibt es gute Gründe. Die Begeisterung steckt an. Nach der Lektüre dieses Buches sehen Sie die Welt mit anderen Augen.

Johanna Romberg: Der Braune Bär fliegt erst nach Mitternacht. Unsere Naturschätze. Wie wir sie wiederentdecken und retten können. Mit Illustrationen von Florian Frick. Quadriga Verlag 2021.