Die leise Last der Dinge

"Wenn Sie diese Zeilen lesen, sind Sie wahrscheinlich sehr unzufrieden mit Ihrem Leben. Sie wollen es ändern, aber Sie fühlen sich so überfordert, dass Sie gar nicht wissen, wo Sie anfangen sollen."

Fühlen Sie sich, zumindest ansatzweise, erkannt? Haben Sie Angst, dass das wieder einer dieser zahllosen Ratgeber ist, wie Sie Ihr Leben ändern können? Glauben Sie schon längst nicht mehr an Veränderung? Dann ist Die leise Last der Dinge vielleicht genau die richtige Lektüre für Sie.

Denn aus diesem Roman, geschrieben von der amerikanischen Zen-Priesterin Ruth Ozeki, stammen diese Zeile – genau genommen aus einem Buch im Buch, das den Titel Zen oder die Kunst, deine Wohnung und dein Leben aufzuräumen trägt. Eine Zen-Nonne hat es geschrieben, um im Verlauf des Romans im Auftrag ihres Verlages auf eine Lese- und Filmreise nach Amerika aufzubrechen und dort irgendwann der in schwierigen Verhältnissen lebenden Annabelle zu begegnen, deren Leben nach dem Tod ihres Klarinette spielenden, aus Korea stammenden Mannes zu implodieren droht ...

Puh. Ruth Ozeki hat sich eine Menge vorgenommen. Ihren Auftritt haben darüber hinaus Walter Benjamin, Jorge Luis Borges, ein Junge, der Stimmen hört wie in einem Roman von Stephen King, und ein Mädchen, das den Namen das Aleph (aus einer Geschichte von Borges) trägt. Nicht zu vergessen, spricht das Buch selbst über die Welt aus Sicht der Bücher.

Im Original trägt Ozekis Roman den anspruchsvollen Titel The Book of Form and Emptyness. Es scheint, als wolle das Buch im Bücherregal einfach ziemlich nah bei den Klassikern des Zen stehen. Tatsächlich stellt Die leise Last der Dinge auf einer seiner vielen Ebenen die Frage danach, wie aus der Leere Wirklichkeit entsteht und wie wirklich unsere Wirklichkeit eigentlich ist.

"Ist es seltsam, in einem Buch auf ein weiteres Buch zu stoßen?"

Ruth Ozeki: Die leise Last der Dinge. Übersetzung von Andrea von Struve und Petra Post. Eisele Verlag, München 2022

Tatsächlich ist das sich selbst kommentierende Buch zunächst eine etwas anstrengende Erfindung; vieles, so mein Gefühl, brauche ich als Leser nicht so explizit vorgekaut und reflektiert zu bekommen. Doch im Laufe der Handlung greift "das Buch" immer wieder entschieden in die Welt dieser Erzählung ein (oder eben nicht), und so bekommt man einen Geschmack davon, wie (erzählte) Realität entsteht.

Es beginnt wie in einem modernen Märchen à la Haruki Murakami: Ein Jazz-Musiker wird auf offener Straße von einem Hühner-Transport überfahren. Seine Frau und sein Sohn verlieren sich in ihrer Trauer Schritt für Schritt; der Sohn Benny driftet in eine eigene Welt ab, kommt in psychiatrische Behandlung und verbringt seine Tage (und Nächte) irgendwann in der Bibliothek. Es hat seinen Reiz, wie Ozeki diesen Weg in eine Parallelwelt Schritt für Schritt nachzeichnet, wie die Grenzen der Realität sich ganz sanft verschieben. Und die Mutter? Verliert vor den Augen der Leser*innen zunehmend den sozialen und wirtschaftlichen Halt. Die zuweilen schmerzhaft zu lesende Tragödie nimmt seinen Lauf. Bis kurz vor Schluss fragt man sich: Wird das je wieder gut?

Das ist die Stelle, wo die Macht der Bücher, des Erzählens, der Phantasie ins Spiel kommt. Und wir zuschauen dürfen, wie die Wirklichkeit sich verändern lässt. Welche Kraft steckt in Geschichten? Ruth Ozeki packt eine Überdosis Konstruktivismus in ihren Roman und zeigt: Die Macht der Wörter und der Gedanken ist überaus real.

Mir geht es dabei allerdings ein wenig wie im Vorgängerroman Geschichte für einen Augenblick. Neben sehr subtilen, poetischen Momenten stehen recht plakative Aussagen. Und in ihre Geschichte über Form und Leere möchte Ozeki so ziemlich alles packen, was in der Gegenwart an Themen relevant scheint (bis hin zum Klimawandel und der kaum verschleierten Trump-Wahl 2016). Am Ende steckt dann so viel zwischen den Ebenen und Meta-Ebenen dieses Buches, dass all das für mich nicht so recht zusammenfindet – und auch der Schluss angesichts des lange aufgebauten Spannungsbogens nicht ganz überzeugt. Gerade angesichts der eminent politischen Dimension des Themas Macht der Sprache hätte ich mir wesentlich mehr Prägnanz gewünscht.