Über die Berechnung des Rauminhalts I

„Achja: Und täglich grüßt das Murmeltier…“, sagt jeder, dem ich die Handlung dieses schmalen, verstörenden Buches zu erzählen versuche. Dabei hat der Roman Über die Berechnung des Rauminhalts wenig gemein mit der romantischen Film-Komödie aus den 1990ern.

Solvej Balle: Über die Berechnung des Rauminhalts I. Aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle. Matthes & Seitz 2023.

Sicher: Tara Selter, die Hauptfigur in Solvej Balles Roman, erlebt auch ihren Murmeltiertag: Jeden Morgen erneut beginnt für sie der 18. November. Doch statt einer luftig-humorvollen Liebesgeschichte sind die Seiten, die Tara Selter in ihr Tagebuch notiert, das Protokoll einer zermürbenden Gefangenschaft – und, ganz im Gegensatz zu dem Film mit Bill Murray eine zeitweise verzweifelte Geschichte über die Unmöglichkeit von Liebe. Vor allem aber erweist sich die Berechnung des Rauminhalts als Meditation über die alltägliche Wahrnehmung.

Denn Tara Selter hat ja Zeit. 365 Tage wird sie immer wieder den 18. November erleben, wird versuchen, Einfluss zu nehmen, eine Ursache für das Geschehen zu finden, aus dem ewigen Kreislauf auszubrechen. Sie schreibt, um die Erinnerung und den Überblick nicht zu verlieren. Und sie beobachtet – ein Schattenleben im Hauses ihres Mannes führend – die zahllosen kleinen Variationen, die sich in den Falten des Alltags versteckt halten, die „Mechanik des Tages“.

“Es gibt keine Garantien, und hinter all dem, was wir gewöhnlich als sicher annehmen, liegen unwahrscheinliche Ausnahmen, plötzliche Risse und unvorstellbare Gesetzesbrüche.“

Während Tara immer wieder denselben Tag erlebt, gefangen in einer Art zyklischen Zeit, erlebt ihn ihr Mann jedes Mal neu. Und so wächst, wo Liebe war, das Trennende:

„Wir lebten in zwei Zeiten, unsere Körper lebten in zwei Zeiten. … Thomas war den Gesetzen des Vergessens unterworfen, ich speicherte viel zu viele Tage im Gedächtnis. Thomas war in der Ewigkeit gefangen, und ich bewegte mich langsam, aber sicher auf mein Grab zu.“

In präziser, reduzierter Prosa schreibt die dänische Roman Solvej Balle ein zwielichtiges, ungemein spannendes Lebensbuch, das bei aller Schwere des Themas doch auch leichtfüßig und humorvoll daherkommt. Denn das vor allem ist Über die Berechnung des Rauminhalts: die Vermessung all dessen, was das Leben lebenswert macht. Und ein mitreißender Sehnsucht-Ausbruch nach genau diesem: dem Leben und der Welt.

Das in diesem Buch geschilderte Jahr geht – nach 365 achtzehnten Novembertagen – leider (?) ziemlich schnell zu Ende – ein Glück, zumindest für die Leser*innen, dass im Dänischen schon die gesamte Trilogie vorliegt: die Geschichte von Tara Selter geht also weiter. Aber was kann das schon heißen?