Hubertus Halbfas
Meine kleine Bibelkunde
Bibelübersetzungen und Bibelausgaben gibt es wie Sand am Meer. In einer kleinen Reihe erzähle ich von einigen Bibeln, auf die ich gern und aus verschiedenen Gründen zurückgreife. Warum? Weil ich glaube, dass das Lesen der Bibel Spaß und Sinn macht – nicht nur für Christen.
Die wahrscheinlich gewichtigste Bibel in unserem Haushalt ist eine, vor der man durchaus warnen sollte: arbeitet man sich durch die 600 großformatigen Seiten der Bibel in der Übersetzung und mit dem Kommentar von Hubertus Halbfas, kann es passieren, dass man im Gottesdienst mit manch zu niedrigschwelliger Auslegung eines Predigttextes Probleme bekommt.
Denn für den im Sauerland lebenden Theologen sind Glauben und Wissen keine Gegensätze, im Gegenteil: ein Bibel-Verständnis heute gelingt aus Sicht Halbfas' nur auf Basis der Erkenntnisse aus den Wissenschaften. Halbfas' Mission nun ist es, diese Erkenntnisse einem breiten Publikum zur Verfügung zu stellen und so einen neuen Zugang zur Bibel zu erarbeiten:
eine Bibelausgabe in Grundzügen, die gleichzeitig die heutigen Ergebnisse ihrer Erforschung vermittelt. Selbst wenn die Bibel das meist verbreitete Buch ist, so ist sie doch zugleich das am wenigsten bekannte und noch weniger verstandene.
Halbfas liest die biblischen Texte genau und im Kontext ihrer Entstehung: das zielt nicht auf die schlichte Erbauung, nicht auf einen unhinterfragten Umgang mit der Bibel, sondern auf Auseinandersetzung und Arbeiten an/mit den Texten.
Auf die Warnung folge nun direkt die Ermutigung: Halbfas zu lesen, ist nicht nur ein großes intellektuelles wie sinnliches Vergnügen, es schärft auch die Sicht auf die jüdische und die christliche Tradition und führt vor Augen, was für ein Schatz in unserer Geschichte schlummert. Ein wichtiger Beitrag in einer Zeit der Traditionsvergessenheit, in der das durch den Wegfall der Religion entstandene Vakuum durch neue, fremde und nicht selten esoterische Techniken gefüllt wird.
"Die Bibel", so Halbfas, "gehört nicht nur den 'Gläubigen'".
Sie hat unsere Kultur und Gesellschaft in einer Weise geprägt, dass ohne die Bibel viele Entwicklungen unseres Kulturkreises kaum verstanden werden können. In seiner Bibel-Ausgabe kombiniert Halbfas daher geschickt zentrale Bibeltexte mit Zeugnissen aus Literatur und Bildender Kunst, um so die Spuren und Echos der biblischen Geschichten erlebbar zu machen. Es entsteht eine Fundgrube an künstlerischen Ausdrucksformen.
Die Bibel gehört auch nicht allein den Christen.
Halbfas ist auch in anderen Werken – wie der "Gebetsschule" Der Sprung in den Brunnen – mit einer sehr weit gefassten, auf interreligiösen Dialog geradezu gespannten Spiritualität in Erscheinung getreten; nicht nur ordnet er Juden- und Christentum hier in die sie umgebenden religiösen Welten ein und verfolgt, wie diese Religionen inmitten der antiken Glaubenswelt entstanden; er widerspricht vor allem deutlich einer christlichen Vereinnahmung des Judentums. Statt des Alten Testaments blättert man bei Halbfas also durch die Jüdische Bibel.
Und wie man blättert! Es ist kaum möglich, die Fülle, das Wissen, die Anregungen zu erfassen, die in diesem Mammutprojekt stecken. Die Bibel, erschlossen und kommentiert von Hubertus Halbfas orientiert sich grob an der Reihenfolge der biblischen Bücher, folgt aber vor allem der jüdischen und dann christlichen Geschichte. Zum Glaubens- und Lebensbuch gesellt sich ein umfassendes, vielseitiges Zeugnis des menschlichen Nachdenkens und Erlebens in weit über 2000 Jahren Geschichte.
Eine große und durchaus repräsentative Auswahl biblischer Texte wird in Halbfas' eigener Übersetzung dargeboten, gefolgt von einer genauen Analyse vor allem der verschiedenen Textschichten und der wichtigen Kontexte. Das zunächst Erschreckende, wenn später im Gottesdienst das "Wort Gottes" verkündet wird: kein Text ist aus einem Guss, jeder trägt Spuren seiner Entstehung, viele Erzählungen erzählen mehr über die Motivation ihrer Urheber als über die Geschichten, von denen sie handeln. Das Gute ist: das macht gar nichts, eher im Gegenteil. Hubertus Halbfas bekommt die Texte nicht klein, eher nimmt er sie unter die Lupe und holt sie ans Licht.
Ein großartiges Werk, an dem ich seit Jahren knabbere, ohne fertigzuwerden.
Zum Glück hat Hubertus Halbfas – der auch für zahlreiche Lehrbücher für den Religionsunterricht verantwortlich zeichnet – auch eine "kleine Ausgabe" dieses Lebenswerks veröffentlicht: Die Bibel für kluge Kinder und ihre Eltern. Für Leser*innen ab 12 Jahre verführt der etwas schmalere Band ebenso zum Entdecken, zum Schauen, zum Vertiefen wie der große Bruder. Generationenübergreifend, lustvoll und spannend. Auch hier gilt: ein Buch, das auch und gerade für Nicht-Christen interessant sein kann – denn es entführt in eine Welt, die unsere heutige zutiefst geprägt hat.