Leben ohne Theorie
"jede Erscheinung erschien von vornherein als ein Begriff"
Peter Handke, Leben ohne Poesie
In der einschlägigen Ratgeberliteratur heißt es: "Sag Ja!". Begegne dem Leben mit offenen Armen, mit Akzeptanz und Hingabe. Und: Sorge dich nicht, lebe. Was da gemeinhin wirkt wie eine empathische Einübung in positives Denken, zielt eigentlich nur darauf, eine Lücke zu schaffen, in der einem die Phänomene begegnen können, bevor sich Meinung, Idee, Kommentar und die nächste erreichbare Erzählung auf sie stürzen.
Ja sagen zur Welt, zum Leben, auch zum eigenen Ich: das ist eine keineswegs leichte Übung im Zu- und im Loslassen, im Verzicht auf die Deutungshoheit und im schonenden Umgang mit der eigenen Stimme.
Natürlich: die Dinge sind nur in meiner Anschauung. Und der innere Kommentator hat, man beobachte sich einmal beim Gang durch die Stadt, praktisch nie Sendepause. Es tut gut, sich eine Weile daran abzuarbeiten, den Anteil der eigenen Anschauung an den Dingen zu minimieren. Nicht recht haben zu wollen, nicht wissen zu wollen, vor allem nicht vorher.
Im Nachhinein bist du dann vielleicht auch nicht klüger; aber für einen Moment warst du da.