73 Ouvertüren

Die Buchanfänge der Bibel

Egbert Ballhorn: 73 Ouvertüren. Die Buchanfänge der Bibel und ihre Botschaft. Gütersloher Verlagshaus 2018

Dies ist eine Einladung.

Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einer der ältesten Bibliotheken der Welt. Einer Bibliothek, die den Anspruch erhebt, so ziemlich jede Geschichte, die einem Menschen geschehen kann, in irgendeiner Form zu erzählen. Jeder Erfahrung Raum zu geben. Die den Menschen in seiner Bedürftigkeit wie in seiner Größe aber nicht nur zeigt, sondern ihn auch leitet, warnt und – immer wieder – tröstet. Die das in so gut wie jedem Genre tut, das Sie in der Literaturgeschichte finden.

Die Bibliothek umfasst "nur" 73 Bücher. Aber die haben es in sich. Diese 73 Bücher sollen nicht weniger als das "Wort Gottes" enthalten – und es soll Menschen geben, denen sind diese Worte teurer als Brot, wärmender als Feuer, heller als Licht.

Willkommen in der Bibel. Ein Buch, Buch der Bücher, eine ganze Bibliothek.

"Gerade beim Öffnen der Bibel eröffnet sich etwas. Ein Weltraum." (Arnold Stadler)

Als wären diese Texte, diese Chroniken, Erzählungen, Prophetenworte, Gebete, Lieder, Briefe und – last but not least – Evangelien nicht genug, türmen sich um diese Bibliothek mittlerweile Büchertürme mit Einführungen, Kommentaren, Interpretationen, Leseanleitungen, Leseplänen etc. Vielleicht ist dieses Labyrinth aus Zugängen, die sich vor die heilige Schrift von Judentum und Christentum geschoben haben, mit verantwortlich für den Traditionsabbruch, den die Kirchen in Europa seit geraumer Zeit erleben. Wer soll das alles lesen? Doch verstehe ich überhaupt etwas, ohne diese Deutungsbrillen, die mir da angeboten werden? Woher die Zeit nehmen, mich auf all das einzulassen? Was bringt das überhaupt?

Francisco de Zurbarán, Public domain, via Wikimedia Commons

Es ist noch nicht so lange her, da hat ein Team von Theolog*innen einen Band herausgegeben, der auf originelle Weise versucht, für Orientierung in der Welt der Bibel zu sorgen – eine Art Bibliotheksführer, der darauf verzichtet, selbst eine Bibliothek zu sein. 73 schmale aber gehaltvolle Beiträge gehen den Anfängen eines jeden Buches in der Bibel nach, führen in das jeweilige Thema, die jeweilige Sprache ein, liefern Hintergründe und weisen auf zentrale Aspekte des jeweiligen Buches hin. Die Texte lesen sich zügig, sie wecken Interesse; sie verstehen sich als Wegweiser, als Anregung, als Einladung, sich auf die Entdeckungen einzulassen, die die vielperspektivische Welt der biblischen Bücher bereithält.

Das Buch 73 Ouvertüren. Die Buchanfänge der Bibel lädt ein, die Bibel "immer wieder neu" zu lesen, wie es Arnold Stadler beschreibt. Der Autor hat einen sehr persönlichen Essay beigesteuert, der den sprechenden Titel Das staunende Kind. Der sehende Leser trägt und sich mit einem faszinierenden Bild des Malers Francisco de Zurbarán auseinandersetzt: "Jede Liebe beginnt mit einem Blick", schreibt Stadler über das Bild, das ein Mädchen bei der Lektüre (Meditation?) der Bibel zeigt.

Staunendes Kind. Sehender Leser. Dies ist eine Einladung.