Keine Bibel

Meine kleine Bibelkunde

Endlich mal "Keine Bibel!" Der halbe Regalmeter mit Bibelausgaben genügt ja auch. Warum das neue Buch von Christian Nürnberger dennoch eine lesenswerte Ergänzung darstellt, erzähle ich in dieser Ausgabe meiner kleinen "Bibelkunde".

Christian Nürnberger: Keine Bibel. Gabriel Verlag 2020

Es ist ja nicht so, dass ich ständig neue Bibelausgaben kaufen würde. Wenngleich mich schon fasziniert, welche Bandbreite an Übersetzungen, Vermittlungsversuchen, Zugängen es zu dem "Buch der Bücher" gibt. Weshalb die Zahl der Bibeln in unserem Haushalt in den letzten Jahren deutlich angestiegen ist. Grund also zur Freude, als das neue Buch von Christian Nürnberger eintraf: Endlich mal Keine Bibel!

Tatsächlich war es – neben Christian Lehnert oder Navid Kermani – auch der Journalist Christian Nürnberger, der mich vor Jahren sanft aber überzeugend an das Christentum herangeführt hat. Das lag nicht nur an seinen schmissigen Titeln (Die Bibel – was man wirklich wissen muss oder Das Christentum – was man wirklich wissen muss), das lag auch an den dichten, engagierten Texten, die nach der Relevanz der christlichen Botschaft heute fragten und zu den besten Kurzdarstellungen über Eigenart und Geschichte(n) des Christentums gehören, die ich gelesen habe.

Das setzt sich auch mit dem durchaus eigenwilligen Projekt fort, das Nürnberger nun vorgelegt hat: eine Bibelausgabe, die keine Bibel sein will, sondern Nacherzählung und Kommentar in einem. Für Einsteiger, Wieder-Einsteiger und Aussteiger, wie Nürnberger schreibt.

Ich möchte die Bibel Menschen von heute zugänglich machen, die sich mit dem Original schwer tun. Darum erzähle ich kurz und bündig, worum es geht. Das entspricht meiner Leidenschaft als Journalist, Kompliziertes einfach darzustellen, ohne es zu verfälschen,

so Nürnberger im SONNTAG. Der Vorteil dieser gut lesbaren Version der Bibel: die gut 200 Seiten eignen sich bestens für zwischendurch und lassen sich auch an einem Wochenende durchlesen. Das schafft man mit der Bibel kaum. Und Nürnberger erzählt die Texte nicht nur nach, er sucht das Gespräch mit dem Leser, fügt Kommentare, Zwischenrufe und Nachfragen ein, geht auf Abstand oder ins Detail, ganz nach Bedarf. So gelingt es ihm, eine erstaunliche Anzahl von Geschichten in heutiger Sprache nachzuerzählen und die Bedeutung verschiedener Bibeltexte herauszuarbeiten. Oder besser: die Bedeutung, die diese Texte jeweils für ihn haben.

Denn das ist aus meiner Sicht der einzige Nachteil dieser Bibelvariante, zumindest für Bibelleser, die sich auch in gängigen Bibelausgaben auskennen: Nürnberger argumentiert bewusst subjektiv, hält mit Interpretationen nicht hinterm Berg – oft auf Kosten der Vieldeutigkeit der Texte und der sprachlichen Schönheit des Originals. Als Einstieg, als Appetizer oder für den schnellen Überblick gut geneigt, ersetzt das Buch keinesfalls eine vollständige Bibel.

Auch wenn mir Keine Bibel den Griff zur Bibel also nicht ersetzen kann, lese ich doch gern darin. Mehr noch: der schmale Band von Christian Nürnberger stellt einen höchst relevanten, gelungenen Versuch dar, die biblische Botschaft aus den Kirchenmauern zu befreien und ihre Geschichten weiterzutragen. Dabei geht es dem "protestantischen Agnostiker", wie sich Nürnberger selbst nennt, nicht um eine Bekehrung zum Christentum, sondern darum zu zeigen, wie diese Geschichten und Gedanken unsere Kultur beeinflusst haben und weiter beeinflussen. Und wie revolutionär und auch heute notwendig viele dieser Gedanken und Botschaften sind.