Und wo ist jetzt Gott?

Wie zwei den Einen suchten und das Universum in sich fanden

Gott...

Gott. Dieses große Wort. Gleichermaßen Schatz wie Hypothek des Christentums. Hinter den vier Buchstaben verbirgt sich eine lange Tradition, die zwischen Weisheit und Nicht-Wissen oszilliert, eine Offenheit und Sehnsucht, die in dem Nicht-Nennbaren gleichsam einen Gesprächspartner findet – und leider auch ein Wahrheitsanspruch, der gerade heutzutage oft droht, sich als Mauer oder zumindest Schwelle zu manifestieren, über die immer weniger Menschen gelangen.

Ich selbst konnte viele Jahre mit dem Wort wenig anfangen. Das Christentum war mir fremd, und auch das für mich wichtigste Buch über Gott stammt nicht von einem Christen. Der Zen-Meister Brad Warner schrieb vor einigen Jahren: There is no God – and he is always with you (eine Besprechung findet sich hier). Paradoxerweise war es die Praxis des Zen, die mir den Weg hin zum christlichen Gottesverständnis ebnete.

Fremd ist mir in der christlichen Kirche weiterhin vieles. In dem Maße, wie die Kirchen an ihrer "Selbst-Marginalisierung" arbeiten, überwiegt bei mir das Kopfschütteln darüber, wie oft mir unter Christen das Kreisen um die eigene Tradition begegnet, das fehlende Interesse, nach außen zu gehen und Zugänge zum Glauben jenseits tradierter Formen und Begriffe zu schaffen. Menschen, die mit dem christlichen Glauben groß werden, verfügen – wenn sie nicht irgendwann den Kontakt verlieren – nicht selten über ein routiniertes Verhältnis zu ihrem Glauben, das Fragen nur am Rand aufkommen lässt.

Umso ermutigender ist das Buch von Isabel Hartmann und Reiner Knieling, die in Wie wir den Einen suchten und das Universum in uns fanden Zeugnis von ihrer eigenen "Gottesreise" ablegen. Mittlerweile in Erfurt am Gemeindekolleg der VELKD Haupt- und Ehrenamtliche aus der Evangelischen Kirche spirituell begleitend, blicken die beiden auf eine lange Geschichte eigener (Grenz-) Erfahrungen mit Kirche zurück – von der Jungen Gemeinde bis hin zum eigenen Pfarramt, vom Stillegebet bis zu Pilgerwanderungen:

Energiegeladen leben. In der Welt verwurzelt. Den Himmel im Herzen. Und Gott mittendrin. Danach haben wir uns gesehnt.

Den Ausgangs- und Angelpunkt ihrer autobiographischen Schilderungen bildet die Sehnsucht (womit sie spannenderweise auch an das letzte Buch von Susanne Niemeyer anknüpfen: Was machen Tagträumer nachts?). Eine Sehnsucht, die in den klassischen Gemeinden oft an Mauern stößt. Daher die Frage, die zum Wegweiser wird:

Wenn Gott eine Wirklichkeit war, dann musste er doch auch als Kraftquelle erfahrbar sein.

In der ganzen Welt gehen die beiden, zunächst unabhängig voneinander, auf die Suche. Sie folgen, so entnimmt man ihren Schilderungen, recht offen und unerschrocken ihren Fragen, die sie aus den sicheren Räumen des Gemeindelebens weit hinaus ins Offene katapultieren. Sie muten Gott ihre Fragen zu. Sie lassen zu, dass sich ihr Gottesbild wandelt, dass es auf die Probe gestellt wird, dass sie mit Gott "Tacheles reden" und nicht auf alles eine Antwort finden. Sie bewegen sich an den Rändern der Kirche und blicken über die Umfriedung hinaus – im Dialog mit anders oder auch nicht Glaubenden. Sie gehen in die Wüste und ins Kloster. Sie lecken Wunden und sehen, wie Narben verheilen können.

... der ganz Andere?

Dass Gott da ist, kann man nicht verstehen, man kann es höchstens erfahren.

Nicht alle Schilderungen von ihrer Reise finde ich gleichermaßen notwendig; manchmal sind mir einzelne Texte doch zu privat, manche Formulierungen etwas zu überzogen. Aber was dieses Buch leistet, ist dennoch immens: zu zeigen, wie ein offener Dialog für einen lebendigen, zeitgemäßen Glauben notwendig und befruchtend ist. Was ist Glauben? Wo begegnet uns Gott? Welche Rolle spielt dabei die Kirche? Und was kann Kirche tun, damit diese Gottesbegegnung gelingt – auch und vor allem jenseits des Sichergeglaubten? Die Gedanken der beiden Autoren öffnen Räume, machen den Glauben durchlässig für die Gegenwart und zeigen Möglichkeiten, über Gott in einer authentischen Sprache zu sprechen, die um ihre Möglichkeiten, aber auch ihre Grenzen weiß.

Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die stacheln meine Gottsuche an. Und bewahren mich davor, ihn in allzu feste Bilder zu packen.

Der Weg der beiden Autoren, die unterwegs irgendwann zu einem Paar werden, führt nach Erfurt, mitten hinein in die ostdeutsche Gesellschaft, in der das Christentum schon lange seine prägende Rolle eingebüßt hat. Doch auch international bewegen sich Hartmann und Knieling in Netzwerken, in denen Spiritualität zwar ein Thema ist, das Christentum jedoch kaum eine Rolle spielt. Welche Bedeutung hat die spirituelle Orientierung im persönlichen wie im beruflichen Kontext? Was braucht es für ein gutes Leben und eine sinnstiftende Tätigkeit? Wie kommt man in Kontakt mit den eigenen Quellen? Die Fragen sind Türöffner – Antwort können auch aus christlicher Perspektive gefunden werden. Erhellend in diesem Zusammenhang das Gespräch mit der Physiotherapeutin Jasmin Sternkicker über spirituelle Erfahrungen im Umgang mit dem Körper, Erfahrungen, wie sie in der traditionellen evangelischen Kirche oft vernachlässigt werden.

So machen Hartmann und Knieling die Sehnsucht nach Gott, das Gespräch mit und über ihm zugänglich auch für Menschen, die es bisher nicht über die Schwelle des christlichen Glaubens schafften. Denn Gott ist größer als unsere Begriffe von ihm und eine stete Hinterfragung unserer Bilder und Konzepte.

In Gott findet sich Heimat. In Gott finden Sehnsucht wie Ohnmacht ein Gegenüber. Gott ist ziemlich persönlich und immer auch politisch. Gott ist immer nah und immer anders. Gott ist für Überraschungen gut und mitunter eine Zumutung. Gott führt in die unmittelbare Gegenwart. Vielleicht, ja, mit Sicherheit, gibt es Gott, wie wir ihn uns ausmalen, nicht – aber Gott, so viel ist gewiss, ist dennoch immer bei uns.

Isabel Hartmann, Rainer Knieling: Gott: Wie wir den Einen suchten und das Universum in uns fanden. Gütersloher Verlagshaus 2019

Podcasts: Frische Theke mit Isabel Hartmann und Rainer Knieling