Eden Culture
Wie wollen wir leben? (2)
Auf den Titeln beider Bücher ein Porträt des Autors: das ist nicht das einzige, was die neuen Veröffentlichungen von Harald Welzer und Johannes Hartl verbindet. Beide starten mit einem wenig optimistischen Blick Richtung Zukunft, und beide entwickeln auf jeweils knapp 300 Seiten eine dann doch sehr verschiedene Kulturkritik. Während Welzer, vor ein paar Tagen an dieser Stelle beschrieben, die Gegenwart in den Blick nimmt, um ganz konkrete Wege zu finden, heute schon ein Stück Zukunft zu gestalten, ist das Projekt des Augsburger Gebethaus-Gründers ganz grundsätzlich konservativer Natur. Denn Hartl versteht die von ihm skizzierte Eden Culture als Ausweg aus den Wirren und Ambivalenzen der Gegenwart: der alte Garten, die Mutter Natur, das "neue Traditionelle".
Zurück zu den Ursprüngen?
Hartl und sein Gebetshaus stehen irgendwie für ein Paradox: ein freikirchliches Projekt mit katholischen Wurzeln, das stilistisch all den Muffigkeiten des traditionellen Christentums entkommen ist und dank moderner Formensprache und zielgruppenaffinen Tunings ein neues Publikum auf Youtube, Instagram & Co. für eine Spiritualität begeistert, die sich auf den zweiten Blick dann als erschreckend konservativ, wenn nicht gar fundamentalistisch erweist.
Über Hartls grundsätzliche, mit Verweis auf den Schöpferwillen jedem Diskurs enthobene Ablehnung von Abtreibung und Pille findet man im Netz ja allerhand (z.B. hier). In seinem Buch nun, in dem Hartl ausgiebig für eine Ökologie des Herzens wirbt, liegt ihm allerdings viel an einer Art utopischem Wohlfühlprogramm, weswegen er zu harte Worte vermeidet. Eine Warnung vor den "möglichen negativen Folgen" der außerfamiliären Kinderbetreuung (kurz: Kindertagesstätte) darf aber dennoch nicht fehlen.
Aus meiner Sicht verbirgt sich zwischen den oft erstaunlich oberflächlichen, freundlichen Zeilen dieses auf hip gestylten Buches nur ein Wolf im Schafspelz, der so manche bittere Pille verabreichen möchte, die aus Patriarchat, Eurozentrismus, elitärem Dünkel und Antimodernismus zusammengemixt ist. Ein Grund, warum ich dieses Buch nicht bis zu Ende gelesen habe.
Oberflächlichkeiten, intelligent getarnt
Ich muss aber auch zugeben, dass mir bis Seite 240 nicht einleuchtete, wozu der ganze Aufwand betrieben wird. Hartl zitiert Soziologen, Philosophen, Psychologen, Neurowissenschaftlicher und und und. Er hat herausgefunden, dass die entscheidenden Dimensionen der menschlichen Natur Verbundenheit, Sinn und Schönheit sind – und sieht diese Dimensionen in der Moderne als gefährdet.
"Verbundenheit, Sinn und Schönheit sind die Nährstoffe, die den Garten des Menschlichen vital halten."
Zur berufstätigen Mutter können Kinder keine sichere emotionale Bindung mehr entwickeln, der Papa füllt mittlerweile seine Rolle auch nicht mehr so gut aus, dafür entwickeln wir uns zu begnadeten Selbstdarstellern, immer auf der Suche nach der besseren (oder wenigstens schöneren) Version unser selbst. Der Zwang zur Selbstoptimierung stärkt die "Macht der Scham" (Adam und Eva, you know), und Erotik haben wir schon lange auf Sex reduziert.
Hartl hält dieser trostlosen Situation entgegen, dass wir mehr Empathie brauchen und uns Zeit nehmen sollten für die Verbundenheit mit der Natur – als "Erlaubnis, einfach zu sein". Meditation kommt bei ihm schlecht weg, weil man in dieser spirituellen Praxis ja nur um sich selber kreise ...
Was hier so verkürzt dargestellt scheint, wird vom Autor zwar wesentlich langwieriger ausgeführt, bleibt aber im Kern genauso ärgerlich oberflächlich. Da wird Etty Hillesum, jene so grenzenlos faszinierende jüdische Frau, benutzt, ja: benutzt, ohne dass Hartl derem Leben, Lieben und Leiden auch nur ansatzweise gerecht wird.
So ist es mit allem: es wird angerissen und zitiert, kurz gestreift und weitergezogen – Tiefe und Auseinandersetzung sehen anders aus. Ein zweiter Grund, warum ich dieses Buch irgendwann verärgert aus der Hand lag.
Nichts als Meinung, autoritativ vorgetragen
Warum sind eigentlich alle alten Gebäude schön und alle modernen hässlich? Hartl legt diese beschämende Frage seiner kleinen Tochter in den Mund. Er selbst entschuldigt sich geradezu, wenn er irgendwann zugibt, mit moderner Kunst nicht viel anfangen zu können. In dieser Ablehnung ebenso wie in den Schilderungen von Parties mit Champagner oder seinen genussvollen Spaziergängen in der Natur äußert sich ein geradezu unfassbar elitäres Denken.
Das Projekt Eden Culture selbst ist wohl auf einer solchen Party geboren worden: als Idee, mit einer kleinen Vorhut dem "Zeitgeist" ein Schnippchen zu schlagen, und – analog zu Platons Akademie – eine neue Kultur einzuüben: voller Schönheit, Exzellenz und garantiert widerspruchsfrei. Denn wir Menschen müssten, so darf man Hartl verstehen, zunächst einmal "den Menschen" (uns) retten, bevor wir uns um die Erderwärmung (oder den Rest der Menschheit) kümmern. Getreu dem Motto: Was nützte es, die Welt zu retten, wenn der Mensch seine Seele verliert?
Mein größtes Problem mit diesem Buch: Es reiht Meinung an Meinung aneinander und stellt diese als Faktum dar, als schlimmstenfalls ewige Wahrheiten. Das ist nicht nur aus der Zeit gefallen – das ist aus meiner Sicht brandgefährlich.