Das Herzflorett
Gerade erst schrieb Marica Bodrožić Essays über Die Rebellion der Liebenden, nun erzählt sie einen Roman lang die Geschichte einer ganz individuellen Rebellion. In Das Herzflorett steht das Mädchen Pepsi im Mittelpunkt: wie die Autorin in Dalmatien geboren, irgendwann zu den Eltern in ein hessisches Dorf gezogen, beschreibt Bodrožić den Weg einer Außenseiterin durch das Dunkel ins Licht.
Pepsis Weg ist gesäumt von seelischer und körperlicher Gewalt, von Verboten und Verfluchungen, die durchaus autobiographische Bezüge aufweisen mögen und z.T. auch in früheren Essays der Autorin geschildert wurden. Dennoch ist diese Geschichte von Sehnsucht und Aufbegehren keine bloße Illustration von schon anderswo Geschriebenem. Dafür sorgt allein schon Bodrožić’ dichte, eigenwillige Sprache. Der andere Grund ist die beeindruckende Protagonistin des Romans.
„Ich glaube, dass die Welt nicht immer darauf ausgelegt ist, uns dauernd glücklich zu machen, sondern darauf, weiter zu blühen“,
wird eingangs die Psychoanalytikerin Erika Freeman zitiert. Und dieses unfassbar starke Mädchen, durch deren Augen wir die 1980er und 1990er Jahre im ehemaligen Jugoslawien und in der hessischen Provinz erleben, das sieht sich Bergen von Unglück gegenüber und verliert dennoch seinen anfangs naiv wirkenden Glauben an das Gute und Schöne nicht. Dieser Glaube ist überlebenswichtig – er verdankt sich, so zeigt sich später, einer starken inneren Wachheit, eingeübt in der Begegnung mit der Natur und der Literatur.

Alles beginnt mit dem in Jugoslawien erlernten Alphabet und einem Brief an die Eltern, die zu diesem Zeitpunkt schon in Hessen arbeiten, getrennt von den Kindern. Sehnsucht ist es, die Pepsi an die Eltern schreiben und schon bald zu ihnen reisen lässt. Eine Sehnsucht, die sich dann jedoch anders erfüllt als erhofft. Denn Glück, Freiheit, Stärke findet Pepsi zunehmend nur in der Schrift – in dem Lexikon, das sie findet, und später bei Rainer Maria Rilke, Anna Zwetajewa, Lew Tolstoi oder Emile Zola. Tschernobyl, die deutsche Wiedervereinigung mit dem erstarkenden Ausländerhass, der Krieg in Jugoslawien, die Strafen der Eltern – immer wieder heißt es: „Aber Pepsi wusste sich zu helfen.“
„Pepsi braucht die Bücher. Brandungen der Ruhe. Die Bücher. Beschützen sie.“
Schon früh ist das Mädchen im Fernsehen vom Fechten beeindruckt, einem Sport, der absolute Gegenwärtigkeit verlangt. Von den dort aufblitzenden Floretts hat dieser beinahe absatzlose Roman mit der tiefen, meditativen Ruhe auch seinen Titel – und Pepsi eine Art Lebensmotto:
„Mag man noch so oft getroffen werden, man muss wissen, wie man in die Lebendigkeit zurückkommt, in den Schritt zurück, um überhaupt sehen zu können, was genau geschieht, wenn es geschieht.“