Mr. Wunscherfüller

Stephen King: Joyland

Nach 15 Jahren Abwesenheit bin ich dieser Tage mit Joyland in das Universum des Stephen King zurückgekehrt. Was soll ich sagen: ich habe mich gleich wieder heimisch gefühlt.

Kein Wunder, besteht diese Welt doch aus recht übersichtlichen Zutaten, die Mr. Wunscherfüller King anhand tradierter Rezepte zu einem bekömmlichen, gleichwohl berauschendenden Trank zusammenrührt. Mit so einem Romanchen mach ich mir die Welt, wie sie mir gefällt: unheimlich ein wenig, und spannend, als wär's ein richtiger Kriminalfall, mit gerade genug Sehnsucht, um nicht unter die Räder zu kommen, berührend (damit ich weiß, dass ich noch bin), aber nicht ohne Rock'n'Roll! Eine kleine Prise von nicht zu scharf gewürztem Sex darf natürlich auch nicht fehlen…

Joyland ist Erinnerungsstück, Liebesroman und Krimi; Horror gibt es nur ganz am Rande, und das ist die einzige Schwäche dieses äußerst lesbaren dünnen Bandes: dass die Geschichte ohne das Übernatürliche eigentlich besser funktionieren würde. Aber King gilt nunmal als Meister des Übernatürlichen, also muss er das auch bringen. Dabei ist er doch vor allem der Meister der Wunscherfüllung! Als hätte er über die Jahre und die mehr als 50 Romane die Gedanken seiner Leser studiert:

Ich weiß, was du dir als nächstes wünschst

Zunächst sorgt der gealterte Ich-Erzähler mit seinen Jugenderinnerungen dafür, dass man sich sehr bereitwillig mit auf die Zeitreise in die beginnenden 1970er Jahre nehmen lässt. Wer schwelgt schon nicht gerne in Jugenderinnerungen? Vor allem wenn sie daher kommen wie bonbonfarbene Märchen, wo die Welt voller Versprechen ist und einem zu Füßen liegt?

Der "Grünschnabel" Devin Jones kuriert sich gerade von seiner ersten, in die Brüche gegangenen Liebe, während er sich weiterhin mit Gedanken an die Ex einen runter holt. Sein erstes Mal hat er noch vor bzw. (Achtung Spoiler: am Ende des Romans) hinter sich, seine College-Karriere liegt vor ihm, und aus einem Ferienjob wird - dank Verlängerung - der schönste und zugleich traurigste Herbst seines Lebens. Die Welt der Schausteller bietet Grenzerfahrungen und Abenteuer genug, um das Leben danach als entspannend langweilig in die Arme schließen zu können …

Weitere Zutaten, die immer gerade dann in den Topf geworfen werden, wenn der Appetit darauf am größten ist: die besten Freunde für's Leben, obwohl Jonesy auch gerne mit Erin in die Kiste gestiegen wäre; ein, zwei Wunderrettungen; manches zwielichtige Personal aus der Gilde der Schausteller; ein Mordfall in der Geisterbahn; ein Geist, der nun eben dort sein Umwesen treiben soll; Menschen, die wirklich das zweite Gesicht haben; sogar das am Morgen an den Gleisen auftauchende Reh aus Stand By Me hat seinen Auftritt, was eine so schöne wie sinnfreie Szene abgibt …

King ist wirklich ein Meister darin, seine Leser nie vor den Kopf zu stoßen und nie zu enttäuschen: man bekommt, was man ersehnt.

Stell dir vor, du gibst einer Frau, von der dir alle sagen, dass du auf sie abgehst, einen selbst für dich überraschenden Kuss - woraufhin diese zu dir sagt:

"Das kannst du bestimmt noch besser, wenn sich dir die Gelegenheit dazu bietet."

Was wetten wir, dass sie dir die Gegelegenheit dazu bietet?

Ja, die Welt von Joyland ist ziemlich einfach und sehr übersichtlich …

Das Übersinnliche, ein Selbstzitat

Was wäre eine solch vertraute, ganz alltägliche Welt ohne etwas Unbegreifliches, etwas das jenseits ihrer Grenzen liegt? Gibt's es nun, das Übernatürliche, oder gibt's das nicht?

Verwunderlich, wie King dieser Frage aus dem Weg geht. Natürlich, ganz ohne Frage, gibt es übersinnliche Phänomene (wenngleich diese Kriminalgeschichte eine bessere wäre, käme sie ohne aus): dazu muss man doch nur die aus Literatur und Film überlieferten Topoi bemühe! Was soll der Versuch einer Erklärung, wenn Geister und Hellseherei doch von alters her, in unzähligen Geschichten, aufgetreten sind?

So aufs Klischee reduziert, zum (Selbst-) Zitat entmündigt, verliert das Übersinnliche seine Fremdartigkeit und wird von der Realität merkwürdig eingebürgert. Und passt so zum Rest des Buches. Irgendwie ist es ganz beruhigend, dass es da etwas gibt, dass die Realität überhaupt nicht in Frage stellt.

Keine Frage. Joyland ist das Werk eines Altmeisters, der genau weiß, welche Fäden zu ziehen sind. Ich werde bereitwillig in seine Fänge zurückkehren, wenn im Herbst mit Doctor Sleep die Fortsetzung von Shining in die Buchläden kommt.