Zen und die Kunst, die Welt zu retten
Das Vermächtnis des Zen-Meisters Thich Nhat Hanh
Zen und die Kunst des Glücklichseins, Zen in der Kunst der Tuschmalerei, Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten, Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung, Zen in der Kunst des Fahrradfahrens, Zen oder die Kunst des Präsentierens, Zen oder die Kunst, einen Höllenhund zu zähmen – die Liste ist lang. Der Klassiker natürlich: Zen in der Kunst des Bogenschießens. Scheinbar befähigt Zen zu allem Möglichen. Nun also: Zen und die Kunst, die Welt zu retten. Ne Nummer kleiner geht es nicht?
Es ist ein schmissiger Titel, den sich die Herausgeberin (Schwester True Dedication) oder der Verlag da ausgedacht haben für das Vermächtnis des verdienstvollen, im Januar 2022 gestorbenen Zen-Meisters Thich Nhat Hanh. Ganz ehrlich: So richtig wohl ist mir dabei nicht. Na klar, angesichts der um sich greifenden Krise(n), angesichts von Not, Verzweiflung, Kriegen und Angst, mit dem Bewusstsein, dass die Menschheit so nicht weitermachen kann, ist die Sehnsucht groß nach der einen Antwort auf unsere Fragen, nach der Lösung für die Probleme der Menschen und des Planeten. Und ja, ich bin zutiefst überzeugt, dass eine aufrichtige Meditationspraxis uns bei der Bewältigung so mancher Probleme helfen kann, dass sie uns hilft, die richtigen Fragen zu finden statt immer wieder die falschen Antworten zu liefern.
Aber Zen ist nun einmal einfach nur dies: Zen (bzw. Zazen).
Oder, wie der große Meister Dogen es bezeichnet hat: shikantaza – "nichts anderes tun als sitzen". Nachzulesen in einer der Kernschriften des Zen, dem vierbändigen Shōbōgenzō. Manche sagen, es sei das einzige Werk, das man lesen müsse, um sich mit Zen zu befassen (wenn Lesen denn überhaupt ein sinnvoller Weg zum Zen darstellt). Und ja: Ich greife seit Jahren lieber zu diesem Klassiker als zu irgendeinem zeitgenössischen Buch über Zen. Mit Ausnahme vielleicht von Brad Warner, der so gut wie kaum ein anderer die paradoxen Weisheiten der aus Asien stammenden Praxis für die Gegenwart erschließen kann.
Die Betonung liegt auf dem Wort Praxis.
Und genau hier fängt mein Problem mit diesem posthum veröffentlichten Werk von Thich Nhat Hanh an, das so viel will. Denn Zen ist im Grunde eine sehr einfache Praxis, deren Geheimnis (und auch deren Faszination) sich der sprachlichen Erklärung entzieht. Versuche ich, über Zen zu sprechen oder zu schreiben, muss ich mich irgendwie mit diesem eigenwilligen Erkenntnischarakter, der sich im Zen versteckt, auseinandersetzen. Und so sind es eben die wenigen Worte oder die tief poetische, verrätselte Sprache Dogens, die als optimaler Wegweiser zu der nicht einfach so zu habenden (und schon gar nicht festzuhaltenden) Weisheit fungieren.
Zeitgenössische Autoren haben dem gegenüber das Problem, dass sie Ergebnisse liefern müssen, dass die Leser*innen Hilfestellung, Ratschläge, Lösungen erwarten: Wie werde ich glücklich? Wie lerne ich besser zeichnen? Wie beobachte ich Vögel? Oder eben: Wie rette ich die Welt?
Indem Sie die Kunst des Glücklichseins und die Kunst des Leidens erlernen, sagt Thich Nhat Hanh. Indem Sie Achtsamkeit entwickeln und sich in der Praxis des "tiefen Schauens" üben. Indem Sie alle Ihre Vorstellungen wegwerfen: "Sie sind mehr, als sie denken." "Das Leben hat keine Grenzen." "Sie sind mehr als dieser Körper." "Sie sind nicht an die Zeit gebunden." Irgendwie ja alles ganz einleuchtend, ganz richtig, aber: so verdammt theoretisch. Und dann kommt Nhat Hanh auf seinen zentralen Begriff (neben dem inflationär gebrauchten der Achtsamkeit): wo Sein war, ist nun "Intersein", die "tiefgreifendste Lehre der Tiefenökologie". Sorry: Ein solches Sprachkonstrukt vernebelt, statt zu erleuchten.
Und das Geheimnis, diese geheimnisvolle (mystische) Wirkungskraft des Zen, bleibt so auf der Strecke.
"Der Aus-Weg ist der Weg nach innen" – und Thich Nhat Hanh liefert in diesem Buch einen "ethischen Kompass, der unsere Schritte leitet", bestehend aus fünf Achtsamkeitsübungen und sehr umfassenden Erklärungen, um den inneren Bodhisattva zu befreien.
"Um unseren Planeten zu retten, müssen wir unsere Glücksvorstellungen überprüfen,"
sagt er. Was ja stimmt. Doch an die Stelle unserer überkommenen Vorstellungen über die Welt, die Zeit, das Ich oder das Glück setzt er neue Vorstellungen, die unsere Meditationspraxis leiten sollen. Das aber hat mit Zen, dieser erfahrungsoffenen, praktischen Wissenschaft, nur wenig zu tun. Ich bin überzeugt, dass wir diese Welt retten können. Aber Sitzen ist nichts anderes als Sitzen.