Von Hoffnung und Staub
Letztens erst ging es an dieser Stelle um das Thema Zeit:
um die fortlaufende, lineare und die in der Wiederholungsschleife stecken gebliebene Zeit. Und in der Eule habe ich mit Eva von Redecker über Zeitbewusstsein nachgedacht. Tatsächlich stecken wir rein kalendarisch ja permanent in einem mit uns forteilenden, schneller und schneller werdenden Vehikel, das von Moment zu Moment huscht und mit dem wir Kalendertag für Kalendertag, Jahr für Jahr hinter uns zurücklassen. Es herrschen Optimierung, Effizienz, Erfolgsdruck, Entwicklungspotentiale. Aber es bleibt nur wenig Zeit für Rückblicke: Innehalten, Aussteigen gar ist unerwünscht.
Zum Glück gibt es andere Zeitrechnungen. Eine dieser alternativen Zählweisen prägt unsere abendländische Kultur in einem Maße, dass es erschreckend ist, wie wenige Menschen (noch) mit ihr vertraut sind: das Kirchenjahr. Wir hätten nicht nur zahlreiche Feiertage weniger ohne diesen etwas angestaubten, schrägen Blick auf die Zeitläufte – wir wären auch um einige Hoffnung ärmer, wie Sabrina Wilkenshof zeigt.
Wie man den Staub von der Hoffnung putzt
Das Kirchenjahr beginnt (zumindest in der evangelischen und der katholischen Kirche) mit dem 1. Advent und endet mit dem Toten- oder Ewigkeitssonntag Ende November. In der Reformation hat man diesen abweichenden Blick auf die Zeit entwickelt, der die (kirchlichen) Festtage im Jahreskreis als Grundfeste einer anderen zeitlichen Ordnung begreift: einer Ordnung, die „alle Jahre wieder“ dieselben Stationen, dieselben Rituale wiederholt (im Unterschied zum unerbittlich fortlaufenden Kalender) – und sich so als Spiegel menschlicher Erfahrungen zwischen Anfängen und Enden anbietet.
Weihnachten, Karfreitag, Ostersonntag, Pfingsten oder die vielen Momente in der den längsten Teil des Kirchenjahres ausmachenden Trinitatiszeit:
“All die Feste, die man in der Kirche feiert, spiegeln … Lebenserfahrungen des Anfangens, Aufhörens und Weitermachens wider.“
Die in Bayern, hinter den sieben Bergen lebende Theologin Sabrina Wilkenshof hat mit Wie man den Staub von der Hoffnung putzt ein Buch geschrieben, in dem gar nicht so sehr diese langsam in Vergessengeheit geratende Tradition im Mittelpunkt steht – sondern die Möglichkeit, in und mit den wiederkehrenden Fixpunkten der Zeit eigene Erfahrungen zu machen. Ihre Methode ist es nicht, die (etwas angestaubten) christlichen Geschichten und Rituale an uns heranzutragen, in der Hoffnung, wir können mit ihnen etwas anfangen. Wilkenshof macht es genau anders herum: sie rückt das eigene, individuelle Leben, die Selbstzweifel, die Sorgen, die Kämpfe, den Druck, ganz nah vor den Spiegel der „alten Feiertage“, wo sich dann im Lichte ganz kleiner, alltäglicher Glaubensfragen und -sätze zärtliche Triebe der Hoffnung zeigen: befreit vom Staub, der sich Tag für Tag auf sie legt. Die Chance, die ihr diese alten Feiertage bieten: einem Leben und einem Glauben „ohne Bewertungen“ auf die Spur zu kommen. Zu entdecken ist ein Glaube, der tatsächlich frei macht.
Der Clou dieses tollen Buches: am Anfang steht hier immer der Alltag, ungeschminkt, unperfekt, life as life is. Die kleinen Zweifel, die großen Ängste, die immer wiederkehrenden Kämpfe stehen in Sabrina Wilkenshofs Ausführungen im Mittelpunkt. Sie schreibt sich ganz nah entlang an den Unebenheiten des Alltags, ist gewappnet mit Ehrlichkeit und Liebe, weiß vom Warten und Hoffen, vom Kindererziehen und Aufräumen, vom Plänemachen und Scheitern, vom Richten und Vergeben. Deshalb steht auch am Ende jedes Kapitels hier der Alltag und keineswegs eine biblische Weisheit: life as life can be. Unperfekt, ungeschminkt, unaufgeräumt: du bist so, und du darfst so sein.
Ich begann die Lektüre mit dem Text zum Michaelistag (29. September) und fand mich – Überschrift: „Die Waffen nieder“ – sofort entwaffnet: „Den Frieden mit sich selbst zu suchen, kostet Mut.“
“ Gottes Friede, von dem in der Bibel so oft die Rede ist, ist nicht das Ende, auf das hin wir uns durchkämpfen müssen. Er muss der Anfang sein.“
Sabrina Wilkenshof zeigt auf lebendige Weise, Wie man den Staub von der Hoffnung putzt. Sie hat ein Buch geschrieben, das mich mehr als alle anderen religiösen Bücher in diesem Jahr überrascht und begeistert hat: weil in ihm nicht irgendwie darüber nachgedacht wird, wie der christliche Glaube zu den Menschen kommen kann – sondern weil die Fragen der Menschen es einfach verdient haben, dass man ernsthaft mit ihnen über sie redet. Und dann entdeckt, was für Hoffnungsfunken in alten Glaubenstraditionen entzündet werden können.
Dein Leben dein Moment
Davon, dass in den alten Traditionen ein Funke steckt, der bewahrt werden muss, davon sind auch Emilia Handke und Meike Barnahl überzeugt. Um diese Rituale in neuen Formen feiern zu können, haben sie mit st.moment eine Agentur gegründet, die Menschen ganz individuell in den besonderen Momenten ihres Lebens begleitet. Über ihre Arbeit und über eine Kirche, die aufbricht, alte Gemäuer verlässt und vor Experimenten nicht zurückscheut, haben sie ein Buch geschrieben: In Dein Leben dein Moment beschrieben sie in vielen kleinen Geschichten, wie sie alte Rituale individuell und neu gestalten. Sie glauben, „dass Gott immer dabei ist“ im Leben – im Anfangen, im Weitermachen, im Aufhören. Und während der Strom der Zeit unaufhörlich fließt (siehe oben), suchen sie Rastplätze, Ankerplätze:
„Wir finden, dass Rituale in unserer modernen, unübersichtlichen und sich immer schneller drehenden Welt fast noch wichtiger sind als jemals zuvor.“
In Dein Leben dein Moment beschwören sie die Kraft von Ritualen, die nicht nach dem Schema F ablaufen und die Menschen dort treffen, wo sie zu finden sind. Sie erzählen von ganz unterschiedlichen Taufritualen – am Meer genauso wie auf der Neugeborenenstation –, von Drop-In Taufe und Schiffstaufe, vo Hochzeitsritualen und Lebenswende-Feiern und davon, wie Menschen für ein gutes Ende sorgen können: Wie geht es, zu scheitern, loszulassen oder zu trauern?
Auch Emilia Handke und Meike Barnahl machen Hoffnung: dass die Geschichte der Kirche noch lange nicht zu Ende erzählt ist. Dass wir finden, wenn wir nur suchen. Dass da immer jemand ist, der aufmacht, wenn man klopft. Und dir die Hand reicht.