Dietrich Bonhoeffer

Theologie und Widerstand

Als ich mich vor einigen Jahren mit dem Gedanken zur Taufe trug, empfahl mir eine Freundin auf meine Frage nach Literatur, die für die Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben relevant sei, die Briefe von Dietrich Bonhoeffer, die Eberhard Bethge nach dessen Tod unter dem Titel Widerstand und Ergebung veröffentlicht hatte.

Ein Klassiker der, wie es so oft mit Klassikern der Fall ist, mittlerweile als Zitatschleuder und Kalenderspruch-Reservoir herhalten muss, um Zacken, Dornen und Komplexität reduziert. Dass man es sich mit Dietrich Bonhoeffer, diesem vielleicht wichtigsten Theologen des 20. Jahrhunderts, nicht zu einfach machen kann, zeigt ein Blick in einige Neuveröffentlichungen. Das lohnt sich nicht zuletzt, um der Vereinnahmung Bonhoeffers durch neurechte Kreise zu entgehen, wie Arnd Henze jüngst verdeutlichte.

Eine Erkenntnis kann nicht getrennt werden von der Existenz, in der sie gewonnen ist.

In diesem Zitat wird eine Besonderheit der Bonhoefferschen Theologie deutlich, die auch von allen Biographen hervorgehoben wird: die "enge Verschränkung von Biographie und Theologie, von Reflexion und Engagement", wie es Thorsten Dietz formuliert. Für die Bücher über bzw. die Wege zu Bonhoeffer hat das unterschiedliche Konsequenzen.

Biographie vs. Porträt

Da ist zum einen der Weg der klassischen Biographie, wie ihn Christiane Tietz mit Theologe im Widerstand (C.H.Beck 2013) wählt. Wie auch in ihrer zuletzt erschienenen, wesentlich umfangreicheren Biographie von Karl Barth gelingt es Tietz mit stringenter Darstellung und präziser Argumentation, Lebensweg und theologische Thesen eindrucksvoll zu verknüpfen und, auf gerade mal 130 Seiten, dem bewegten Leben Bonhoeffers nachzugehen. Ein idealer Einstieg in das komplexe Leben und Denken des Theologen, der durch die historische Verortung auch Grenzen und Probleme für die heutige Rezeption Bonhoeffers deutlich – und dennoch Lust macht, dessen Schriften für sich zu entdecken.

Für einen Menschen, der aus innerer Gewissheit seinen eigenen Weg gegangen ist und auf jeder Station von seinem Denken Rechenschaft abgelegt hat, ist ein allein lebensgeschichtlich angelegtes Porträt unzureichend,

meint indes der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber – und formuliert in seinem Porträt unter dem Titel Auf dem Weg zur Freiheit (C.H.Beck 2019) nach einem kurzen biographischen Abriss thematisch sortierte Zugänge zu Leben und Denken Bonhoeffers. Jeweils zu einzelnen Kernthemen schlägt Huber so Zeitschneisen in die Biographie, durcheilt mehrmals verschiedene Stationen, um so Entwicklungen von Kerngedanken oder auch Brüche und Wandlungen kenntlich zu machen.

Der Verzicht auf die chronologische, biographische Sortierung leuchtet nicht unbedingt ein. Denn dem vielgestaltigen Denken, dem vielfältigen Engagement und der mannigfachen Wirkung Bonhoeffers entzieht Huber damit ein grundlegendes Ordnungsprinzip, was der Fülle an Gedankengängen und Einordnungen von Person und Werk Rahmen und Struktur hätte geben können. Natürlich lohnt es sich, Bonhoeffers "Denken vor dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte zu betrachten" – doch warum soll dies nicht im Rahmen einer "ordentlichen" Biographie möglich sein?

Das eigentliche Problem von Hubers Werk liegt aber woanders, wie schon der oben zitierte Eingangssatz zeigt: Da wird eine These aufgestellt, die den (positiv formuliert) unkonventionellen Zugang begründen soll; und das mit einer Selbstverständlichkeit (auch: Überheblichkeit), die keine weitere Begründung erfordert. Dabei finde ich es keinerlei selbstverständlich, warum ein "lebensgeschichtlich angelegtes Portrait" bei Bonhoeffer unzureichender sein soll als bei anderen Denkern.

Solche argumentativen Schwächen durchziehen den Band, zusammen mit manch unglücklichen Formulierungen, ärgerlichen Wiederholungen (Lektorat?) und weitläufigen Abschweifungen, die mitunter die Lücke zwischen dem historischen Gegenstand und aktueller Zeitdiagnostik verschwimmen lassen.

Natürlich: man findet bei Huber spannende Ausführungen zu Bonhoeffers Pazifismus, zu seinem Verständnis von Widerstand und Schuld, zu Verantwortungsethik, religionsloser Zeit und "Polyphonie des Lebens". Gleichzeitig scheitert Huber jedoch an seinem weitreichenden Wissen, das er mit diesem vollgepackten Band kaum zu vermitteln mag. Der Leser muss viel Geduld mitbringen – und findet doch nur eine Auseinandersetzung, die selten auf den Punkt kommt, sondern oft generös am Ziel vorbei schrammt.

Theologische Briefe

Was bleibt? Zurück zu den Texten. Nur in der genauen, konzentrierten Relektüre lässt sich ein "unverstellter Blick" (Worthaus) auf Dietrich Bonhoeffer gewinnen, der Impulse aufgreift, Verständnisprobleme thematisiert und, gerade indem Bonhoeffer in seinen Kontext gestellt wird, nach dessen Relevanz für heutigen Glauben fragt.

In einem schmalen Band versammelt der Marburger Theologe Thorsten Dietz Bonhoeffers Theologische Briefe aus "Widerstand und Ergebung" (Evangelische Verlagsanstalt 2017). Die kluge Auswahl fokussiert vor allem auf den Rechenschaftsbericht "Nach zehn Jahren" (1942/43) und einzelne Briefe an Eberhard Bethge, die in die "Bestandsaufnahme" des christlichen Glaubens und in die Frage nach dem Christentum in einer religionslosen Welt münden. Umfangreiche, gut lesbare Erläuterungen skizzieren historische und geistesgeschichtliche Zusammenhänge und verdeutlichen die Relevanz der von Bonhoeffer in der Haft nur skizzierten Fragen – weisen jedoch gleichzeitig auf Grenzen und Probleme hin, die zum Beispiel auch begründen, warum Bonhoeffer für die theologische Rechte heute so attraktiv ist.

Im Vergleich zu Hubers Portrait profitiert Dietz dabei von dem durch die selbstgesetzte Begrenzung auf wenige Texte gewonnenen Fokus und – nun ja – von etwas mehr didaktischem Geschick.

Wer davon einen Eindruck gewinnen möchte, versuche es mal mit den Vorträgen, die Dietz bei Worthaus zu Dietrich Bonhoeffer gehalten hat – zum Beispiel mit diesem zu einer "Theologie für eine mündige Welt". Seine Ausgabe der Briefe ermöglicht im Anschluss eine Neuentdeckung der wichtigsten Texte aus der Haft – und damit einen spannenden und doch leichten Zugang zu der Person Dietrich Bonhoeffer.

Wie nämlich vermittelt man den Glauben an Gott in einer Welt, in der Diktatoren Gott für ihre Rettung danken? Wie vermittelt man diesen Glauben an Menschen, die Religion immer mehr für unwichtig halten? Deren große Fragen an das Leben – Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? – zunehmend von der Wissenschaft beantwortet werden? Wenn Menschen mündig werden und nicht mehr der Kirche hörig sind, können sie dann noch an Gott glauben? Sie können, glaubte Bonhoeffer. Doch dafür müssen Gott, Glaube und Christentum völlig neu gedacht und die biblische Botschaft wieder ernst genommen werden.