Simenon lesen (1): Maigret's Pfeife

Ein Sommer mit Georges Simenon

Meine Beziehung zu Georges Simenon war kurz und intensiv, sie währte nur einen Sommer lang. Einige Monate, es war 2012, verschlang ich die damals in einem Schweizer Verlag erscheinenden Romane über Kommissar Maigret. Ich las die schmalen Bände einen nach dem anderen, pausenlos, manisch, und während ich an dem einen noch saß, besorgte ich mir, einem Süchtigen gleich, schon Nachschub beim Internet-Versandhändler. Als sich die Romane dann zu stapeln begannen, wollte ich Ernst machen mit dieser Beziehung und investierte viel Geld in einen Prachtband mit den gesammelten Maigret-Erzählungen des Autors. Besser: ich wollte investieren. Dem Internethändler mißglückte der Versand, die Auslieferung schlug fehl, und ich, verärgert, im Stich gelassen vom Dealer meines Vertrauens, ohne Nachschub, schlug das Kapitel Simenon zu, um mich anderen Büchern zuzuwenden.

Intensive Begegnungen, kurze, leidenschaftliche Episoden – sie haben oft einen Nachhall, der sich von Zeit zu Zeit bemerkbar macht. So auch in diesem Fall: In regelmäßigen Abständen fiel mir meine Liaison mit Simenon wieder ein, hatte ich den Geschmack von damals auf der Zunge, überkam mich die Lust auf den gemächlichen, vertrauten, aber irgendwie auch unberechenbaren Kommissar; dann fand ich mich jedes Mal das Internet durchsuchend vor dem Computer wieder. Allein: zeitgenössische deutschsprachige Maigret-Ausgaben, einmal abgesehen von horrend überteuerten Exemplaren, waren in Deutschland nicht mehr zu haben. Wieder fühlte ich mich im Stich gelassen, es gab Zeiten, da vergass ich die frühere Sucht beinah ganz.

Aber Entschuldigung: hier geht es ja nicht um irgendeinen Autor. Wir sprechen nicht von Groschenromanen. (Oder doch?) Es geht hier um einen der meistgelesenen Autoren des 20. Jahrhunderts, um einen Schriftsteller, dessen Auflagen Hermann Hesse vor Neid erblassen lassen. Auf Georges Simenon können sich alle einigen: der "gewöhnliche" Krimi-Leser ebenso wie der heimliche Leser "hoher" Literatur. Paul Auster ebenso wie Peter Handke.

Nun: die Buchhändler um die Ecke dürfen frohlocken. Auf sie wartet sicher nicht das Geschäft des Jahrhundert; ein treuer, regelmäßiger Kunde aber ist ihnen sicher, der ab diesem Herbst nur noch eines möchte: seine Dosis Simenon.

Maigret's Pfeife

Nachdem der Diogenes-Verlag vor einigen Jahren die Übersetzungsrechte verlor, legt der von einem einstigen Diogenes-Mitarbeiter gegründete Kampa-Verlag ab diesen Oktober nicht nur sämtliche Maigret-Romane und -Erzählungen wieder auf; in Kooperation mit dem Hoffmann & Campe Verlag entsteht eine neue Simenon-Gesamtausgabe in hübscher Ausstattung, in teilweise neuen oder revidierten Übersetzungen und mit Nachworten all der mehr oder weniger prominenten Simenon-Leser, in deren Gemeinschaft ich mich nun guten Gewissens wähnen darf.

Auf 75 Maigret-Romane darf man sich also in den nächsten Jahren freuen; hinzu kommen über 100 Romane "ohne Maigret" und zahlreiche weitere Schriften Simenons. Zur Eröffnung legt der Kampa Verlag nun neben den ersten Maigret-Romanen die schmale Erzählung Maigret's Pfeife in einer Neuübersetzung von Karl-Heinz Ott vor. Es ist weniger die Übersetzungstat, mehr die liebevolle Ausstattung, angelehnt an die französischen Originalausgaben, die das Büchlein so besonders macht.

Maigret's Pfeife wirkt auf den ersten Blick wie eine Fingerübung des Vielschreibers Simenon; man mag sich vorstellen, dass sich der selbst Pfeife rauchende Autor, der am Tag 20 bis 40 Seiten schrieb und 8 bis 10 Tage für einen seiner 200 Romane brauchte, mit solch einer Geschichte "warm schrieb". Maigret's Lieblings-Pfeife ist am Ende eines langen Arbeitstages verschwunden, und schon bald hat der manchmal etwas behäbig wirkende, eigentlich aber nur mit einem starken Hang zu Gemütlichkeit und Gewohnheit ausgestattete Kommissar einen Verdacht. Unaufgeregt, mit einigem Potential zur Komödie, entwickelt sich die Geschichte; allein die nervöse Gereiztheit des um sein Lieblingsstück gebrachten Ermittlers weist auf eine Unruhe, auf eine Art doppelten Boden hin, der dann im zweiten Teil ziemlich unversehens aufbricht und in ein rasantes, atemloses Finale führt.

Die Faszination an Simenon stellt sich auf den 80 Seiten prompt wieder ein, wird aber - ganz ehrlich - nicht vollends befriedigt. Die einfache, unaufgeregte Sprache. Die scheinbar "normalen" kleinen Leute, denen mit ihren Geschichten und Geheimnissen hier eine große Bühne bereitet wird. Zuletzt der Kommissar, bei dem man nie sicher ist, ob er nur den Leser im Ungewissen belässt oder ob er selbst nicht klüger ist, wo Routine aufhört und Ratlosigkeit anfängt. All davon möchte man schlichtweg mehr, als auf diese wenigen Seiten passt. Der nächste Roman liegt schon bereit.

Die kleineren und größeren Verbrechen dienen vor allem als Anlass, sich in Lebensgeschichten hineinzudenken, deren Abgründe sich durch traurige Banalität auszeichnen,

schreibt der Übersetzer Karl-Heinz Ott in seinem Nachwort. Die neue Simenon-Edition ist eine gute Gelegenheit, diesen Autor erneut zu entdecken.