Die Schönheit der Begegnung
Wie sind wir uns eigentlich begegnet, Frank Berzbach? War es bei jenem denkwürdigen Konzert von Nick Cave im Friedrichstadt-Palast am 01. Juni 1997? Oder trafen wir uns wenig später im Saturn am Kölner Hansa-Ring, wo wir uns zwischen den CD-Stapeln im Gespräch über Portishead verloren? Schwiegen wir uns tagelang bei einem Zen-Sesshin an, um nach dessen Ende völlig unvermittelt ein Gespräch fortzusetzen, das ohne Anfang war? Oder liefen wir unerkannt auf St. Pauli aneinander vorbei, als ich vor einigen Jahren zum bisher einzigen Male in Hamburg weilte und mich auf ein Konzert der damals noch recht unbekannten Hip-Hop-Combo Kinderzimmer Productions verirrte?
Möglicherweise wären Beziehungen und Ehen stabiler, wenn die Menschen einmal pro Jahr zurück zur Quelle ruderten und sich dort umschauten.
Nun ja, die Geschichte meiner Beziehung zu Frank Berzbach ist um einiges prosaischer, sie geht ungefähr so:
Der in Köln und Hamburg lebende Autor begegnete mir das erste Mal im Blog des Bonner Zen-Shops 3 Schätze. Er sprach dort über sein damals erschienenes Buch Formbewusstsein. Da ich ungeheuer gern und ziemlich willenlos auf Empfehlungen in Sachen Literatur und Musik reagiere, bestelle ich das Buch umgehend, las und besprach es an dieser Stelle. Die weitere Geschichte ist im Grunde eine der Empfehlungen und der irgendwann nicht mehr so überraschenden Gemeinsamkeiten. In Berzbachs frühem Facebook-Blog Songs & Stories und in verschiedenen Beiträgen für Magazine traten mir Musiker entgegen, die am Rande meines musikalischen Universums immer schon mal aufgetaucht aber oft nie so richtig in Erscheinung getreten waren – Johnny Cash etwa. Berzbach erzählte Geschichten, die fast immer einen Nerv in mir trafen, und legte Fährten, die mich verlässlich um einige Erfahrungen, Bücher oder Schallplatten reicher machten. Ob ähnliche musikalische Kreise oder Autoren wie Navid Kermani, die gleichzeitig lasen, während Neil Young aus den Boxen dröhnte: über die Zeit entstand so etwas wie eine gemeinsame Geschichte – auch ohne Begegnung. Der ganz normale Irrsinn in Zeiten des Internets?
Er hat eine Vorliebe für Fahrräder, Schallplatten, Klöster, Tee und analoge Schreibgeräte,
heißt es nun im Klappentext zu seinem ersten Roman – das sind der Schnittmengen einfach zu viele. Frank Berzbach: Ich habe das Gefühl, dass wir uns schon lange kennen.
Ich gehörte zu einer Art römisch-buddhistischer Bohème, die betete, meditierte und der Sinneslust zugewandt war.
Umso begieriger war ich nun, diesen ersten Roman, Die Schönheit der Begegnung, zu lesen. Vor der Folie von Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen schreibt Berzbach Zweiunddreißig Variationen über die Liebe. Er nimmt seinen Ausgang bei der so banalen Frage an Paare: Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt? Es folgen 32 Anfänge, die allesamt den Zauber des Beginnens, die Intensität des Moments, die Faszination des Kennenlernens feiern.
Es sind "Geschichten gegen die Angst", so der Erzähler, hinter dem schelmisch grinsend der Autor hervorschaut, der mal mehr, mal weniger offensichtlich auf dem schmalen Grat zwischen Fakt und Fiktion tanzt. "Ich wollte einfach aufschreiben, wie es mit uns begonnen hat", heißt es da am Anfang – aber dass es so einfach nicht ist, liegt schon allein darin begründet, dass ziemlich unklar ist, wer das eigentlich ist, der da Ich sagt. Immer wieder legt Berzbach Fährten für eine autobiographische Lesart – das aber in so einem inflationären Ausmaß, mit so einer ungebändigten Erfindungslust, das keine Autobiographie solch eine Fülle an Geschichten und Versionen aushielte. Paul Austers 4321 ist nur eine der zahlreichen Referenzen, vor denen sich dieser Roman verbeugt.
Womit sich der Kreis schließt: In seinen 32 Variationen betreibt Berzbach ein wildes Spiel mit Zeichen, Stilen, Lebensformen. So gerät Die Schönheit der Begegnung nicht nur zur lustvollen Feier des ersten Augenblicks, sondern auch zur dankenden Verneigung vor all dem, was unser Leben prägt. Wir sind, was oder wen wir lieben, was wir lesen, wen wir hören, wie wir Tee trinken, wo wir Atem holen. Darüber hat Berzbach ziemlich ausführlich in seinen früheren Büchern geschrieben.
Nun also: die Lust an der Erzählung über all das, was unser Leben formt und wie daraus Glück entsteht. Bücher, Schallplatten, Konzerte, die Beatles, Lana del Rey und John Coltrane, Fahrradläden und Cafés, Konzerte und Parties, Heilige, Sprayer und Metalheads – die Liste ließe sich fast endlos fortsetzen. Denn über all dem feiert sich die Schöpfung, die große, kraftvolle und beglückende Phantasie selbst.
Frank Berzbach im Internet: frankberzbach.com.
Die Schönheit der Begegnung. Zweiunddreißig Variationen über die Liebe ist im Eisele Verlag erschienen.