Die Kunst zu glauben
Zehn Jahre ist es her, da veröffentlichte Frank Berzbach sein BuchDie Kunst, ein kreatives Leben zu führen. Nach zahlreichen anderen Titeln folgte 2021 Die Kunst zu lesen – und nun also Die Kunst zu glauben. Man könnte eine clevere Marketing-Idee dahinter vermuten – Berzbach, der Mann, der Die Kunst zu … durchbuchstabiert – bei Berzbach aber liegen die Dinge anders: dass der Vielschreiber sich nun seinem vielleicht persönlichsten Thema zuwendet, ist nur konsequent und auch nicht überraschend.
Denn eigentlich schreibt der in Hamburg und Köln lebende Autor neben zahlreichen Magazinbeiträgen (wie diesem hier zu Johnny Cash) schon seit längerem Buch für Buch an einem Buch, in dem er seine Themen immer wieder neu durchwandert und erschließt. Es geht Frank Berzbach um das Stiften von Verbindungen zwischen scheinbar Unzusammenhängendem, um die bewusste Wahrnehmung von Formen, die die Welt schöner, das Leben lebenswerter und die Menschen achtsamer (=liebender?) machen. In diesem Sinne betrachtet, ist die nun vorliegende Mystik des Alltags eine Art vorläufiges Opus magnum.
Berzbachs Glaubenskunst
Zahlreiche Gedanken aus früheren Büchern greift Frank Berzbach hier noch einmal auf, diesmal aber eben im Lichte des Glaubens, der im Grunde die gar nicht so heimliche Mitte bildet: von Kreativität und Arbeitsalltag (Die Kunst ein kreatives…), Liebe (Die Schönheit der Begegnung), Lektüren (Die Kunst zu lesen), Musik (Ich glaube an Engel…), Lebenskunst (Königswege zum Unglück) und dem ganzen Rest an Leben (sehr zu empfehlen: das tolle, anders persönliche Zwischenleben).
All das wird hier in einzelnen Kapiteln auf seine Verbindung zum Glauben hin noch einmal erkundet, immer der Frage nach: Wie tragen verschiedene Bereiche des Alltags zu einer Kunst zu glauben bei? Und wie wiederum hilft diese Glaubenspraxis, die Welt und das Leben reicher und schöner zu machen?
Was trägt?
In neun konzentrierten Kapiteln nimmt uns Frank Berzbach mit auf eine Wanderung durch sein durchaus unkonventionelles Glaubensleben. Das hat in weiten Teilen den Charakter einer Selbstvergewisserung und verzichtet dankenswerterweise auf frömmelnde wie missionarische Weisheiten. Seine „essayistische Umkreisung“ möchte Berzbach als Inspiration verstanden wissen: so lebe, liebe, glaube ich – wie ist es bei dir?
Berzbach, von Geburt an und immer noch Katholik, betont seine Skepsis gegenüber der Amtskirche und findet seine Inspiration unter anderem hinter Klostermauern. Vor allem der Jesuitenorden prägt sein Glaubensleben. Die Jesuiten waren es, die die Praxis des Zen nach Europa brachten und somit die mystischen Traditionen des Christentums – von der institutionalisierten Kirche über Jahrhunderte an den Rand gedrängt – wieder in Erinnerung riefen. Meditation, Kontemplation, Herzgebet – die Achtsamkeit und Spiritualität, die die Menschen in fernöstlichen Praktiken und Theorien suchen, sie ist eigentlich zum Greifen nah.
Doch Berzbach liest nicht nur Teresa von Ávila und Thích Nhất Hạnh, Shunryu Suzuki und Karl Rahner – er hört auch Musik. In einem Podcast verrät er, dass sein Hausaltar unter anderem Bilder von Heiligen versammelt: Nick Cave etwa, Patti Smith, John Coltrane (dessen A Love Supreme er einige äußerst aufschlussreiche Seiten widmet).
“Die christliche Lebenskultur kennt nicht nur Frühmesse und Morgengebet, sondern auch Morgensex“,
schreibt er. Das Christentum kenne keine Trennung von Körper und Geist: es sei eine Religion der Liebe. Schönheit ist sichtbare Nächstenliebe, weil sie aufrichtet und Gottes Schöpfung feiert. Genau hier haben auch Musik, Kunst, Kultur im weitesten Sinne ihren Platz:
“Wer das Heilsame ausdehnt, nimmt dem Destruktiven seinen Platz. Wer die Welt verschönert, nimmt der Hässlichkeit seine Macht.“
Der Mystiker von heute
“Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein,“
so schrieb einst der kathologische Theologe Karl Rahner. Frank Berzbach setzt sich bewusst zwischen alle Stühle, wenn er in diesem Buch wieder einmal elegant das scheinbar Gegensätzliche verbindet. Genau so ist die Gegenwart: leise und laut, hektisch und ruhig, voller Krisen und voller Schönheit. Der Mystiker, so meint er mit Michel de Certeau, ist der Mensch, der nicht aufhören kann zu wandern und von jedem Ort, jedem Objekt zugleich weiß: „Das ist es nicht.“
Der Glaube an Gott, der immer größer ist „als all unsere Vernunft“, hilft zu mehr Klarheit, mehr Gelassenheit, mehr Offenheit. Im Zen ist die Rede vom Nicht-Anhaften.
“Wer in religiösen Übungen wie Gebet, Meditation oder Askese seinen Geist klärt, der denkt besser.“
Mystik so verstanden ist eine Art Selbstbildungsprogramm – wobei die Bildung nicht bei mir selbst stehen bleibt, sondern dem Nächsten dienen soll. Die Kunst zu glauben verspricht nicht den Einzug ins Paradies, in eine erlöste Welt, wohl aber eine veränderte Rahmung des Lebens. Heilige sind für Berzbach Menschen, die „sich vom Denken nicht traurig machen“ lassen.
Teller, Pfannen und Fenster
Aber Moment mal: ist Glaube denn nicht ein Geschenk? Geschieht er mir nicht einfach so? Und Gottes Gnade: fällt die mir nicht einfach ohne mein Zutun zu? Muss ich mir das verdienen?
Nein, so weit geht Berzbach sicher nicht. Indem er den Glauben aber als Kunst betrachtet, als (ganz persönliches) System von Techniken bzw. Praktiken, als tägliche Praxis, weist er daraufhin, dass es nicht verkehrt sein kann, regelmäßig die Fenster zu putzen, die sich zum Göttlichen hin öffnen. Glauben ist mehr als stille Innerlichkeit und auf keinen Fall getrennt vom Alltag zu haben. Das wusste schon Teresa von Ávila, die Gott auch in schmutzigem Geschirr zu begegnen wusste.
“Für mich ist entscheidend geworden, wie ich eine Handlung ausführe. Feinde meines gläubigen Alltags sind Zynismus, Pessimismus und Apathie. … Ich stehe auf, arbeite, liebe, schreibe und alles wieder auf null, im Angesicht Gottes.“